Telemedizin in der Psychotherapie
Die vergangenen Monate haben gezeigt, dass internet- und appbasierte Angebote die Therapie psychischer Störungen maßgeblich unterstützen können. Viele Psychotherapeuten haben aufgrund der Covid-19-Pandemie von Präsenzterminen auf Videosprechstunden umgestellt. Es ist unumstritten, dass der Einsatz von telemedizinischen Lösungen viel Potenzial birgt, doch gibt es auch noch Vorbehalte. So zeigt eine Umfrage der Deutschen Psychotherapeutenvereinigung unter knapp 4.500 Psychotherapeuten im April 2020, dass 73 % der Befragten die Videosprechstunde für „weniger wirksam“ als die direkte Therapie halten. Dennoch sehen sie in der Telemedizin ein wichtiges Werkzeug. So gaben fast 60 % an, die Videosprechstunde in der Psychotherapie auch künftig weiter nutzen zu wollen.
Die positiven Wirkungen von Internetinterventionen
In der Psychotherapie hat sich der Einsatz von Internetinterventionen bereits bewährt. Diese konnten bei der Behandlung der meisten psychischen Störungen Erfolge vermelden. Dies gilt besonders für die begleitete Selbsthilfe. Online-Interventionen können dabei ähnlich effektiv wie die traditionellen Formate der Einzel- und Gruppentherapie sein. Auch die therapeutische Allianz ist bei begleiteten Angeboten vergleichbar. Die überwiegend positiven Wirksamkeitsnachweise dieser Programme werden durch Studien belegt. Internetinterventionen sind dabei allerdings mehr als Zusatzangebote zu sehen. Ihr Ziel ist es, die Adhärenz bzw. das Selbstmanagement des Patienten zu fördern. Die Begleitung erfolgt meist asynchron, d. h. über Textnachrichten oder therapeutisches Feedback. Im Gegensatz dazu besteht bei unbegleiteten Programmen bzw. unbegleiteter Nutzung einer App die Gefahr, dass Frustration und Gefühle der Hilflosigkeit verstärkt werden könnten, wenn der Patient die Anwendung wieder abbricht. In den meisten Fällen sind deswegen die durch Therapeuten begleiteten Interventionen den unbegleiteten, reinen Selbsthilfeangeboten vorzuziehen.
Die Integration von internetbasierten Interventionen in die ambulante oder stationäre Psychotherapie (Blended Psychotherapy) gilt als erfolgversprechend. Onlinebasierte Behandlungselemente können dabei als verlängerter therapeutischer Arm genutzt werden und so den Therapieprozess bereichern. Die Effektivität der Psychotherapie wird verbessert und Therapieplätze können eingespart werden. Bei einer Umfrage der Landespsychotherapeutenkammer Rheinland-Pfalz gab bisher zwar nur jeder vierte Therapeut an, digitale Tools – selten bis häufig – zu nutzen. Allerdings können sich zwei Drittel der Befragten eine künftige Nutzung vorstellen.
Kann KI bei der Diagnose unterstützen?
Immer beliebter werden auch Apps, die den Anwender bei der Diagnose unterstützen sollen. Die Anwendungen nutzen hierfür meist sogenannte Chatbots, die dem Nutzer Fragen stellen. Über einen Algorithmus wird dann versucht, aus diesen Antworten entlang eines diagnostischen Pfades mögliche Diagnosen zu generieren. Die Qualität, mit der solche Apps psychische Störungen erkennen können, ist dabei allerdings auch vom Benutzer und der jeweiligen Diagnose abhängig.
Nichtsdestotrotz ist es für die Zukunft denkbar, dass Künstliche Intelligenz (KI) nicht nur zur Diagnostik, sondern im weiteren Verlauf der Behandlung auch für therapeutische Funktionen und Entscheidungsprozesse genutzt werden kann. Bis KI jedoch in diesem Ausmaß Einzug in den Praxisalltag hält, wird es noch eine Weile dauern.
Digitale Kompetenz fördern
Die Digitalisierung in der Psychotherapie muss sowohl vom Behandler als auch vom Patienten aktiv mitgestaltet werden. Die Erfahrungen und Bedürfnisse beider Seiten müssen berücksichtigt werden. Gleichzeitig ist es wichtig, die Digitalkompetenz zu fördern, damit die Indikation, Qualität und Anwendung digitaler Angebote besser beurteilt werden kann. Sind diese Voraussetzungen gegeben, kann die digitalisierte Psychotherapie ihr Potenzial voll entfalten.
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