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Prävention ist ein entscheidender Hebel, um das Gesundheitssystem zu entlasten. Oftmals wird eine bessere Ausbildung gefordert – doch die ist in Österreich wohl nicht das Problem.
"Beim Thema Gesundheitsförderung und Prävention mangelt es nicht an der Ausbildung – im Gegenteil: Wir bringen den Leuten sogar zu viel bei.“ Markus Golla, Leiter des Instituts für Pflegewissenschaft an der IMC Krems University of Applied Science, meint diese Aussage nicht völlig ernst. Aber fast: „Wir vermitteln den Studierenden in vielen Stunden umfangreiches Wissen zur Prävention. Wenn sie dann fertig sind, fällt ihnen sehr schnell auf, dass das im Berufsalltag nicht stattfindet“, so Golla weiter. Sein Urteil: „Es fehlt nicht an der Ausbildung, sondern an der Möglichkeit, das Gelernte in der Praxis einzusetzen. Das ist so, wie wenn ich einen Pilotenschein mache und dann darf ich nachher nur mit dem Tretroller auf der Straße fahren.“
Der Nutzen von Prävention für das Gesundheitssystem ist offensichtlich. Golla schätzt, dass in Österreich derzeit nur 11 Prozent des BIPs in Prävention fließen. Er plädiert für eine deutliche Erhöhung auf mindestens 20 Prozent. „Prävention ist die einzige Lösung, um das System langfristig zu erhalten. Wenn weniger Menschen krank werden, brauchen wir weniger Ressourcen für teure Behandlungen, und auch das Personal wird entlastet.“ Eine höhere Investition in Prävention könnte, so seine Einschätzung, nicht nur Kosten sparen, sondern auch die Attraktivität des Pflegeberufs steigern, indem die Arbeit stärker auf Begleitung und Beratung ausgerichtet wird. „Bislang ist der Berufsalltag in Kliniken, Pflegeheimen oder im niedergelassenen Bereich meist von Akutversorgung geprägt, während präventive Ansätze in der Regel in den Hintergrund geraten.“
Doch wie kann man das ändern. Manche Experten plädieren dafür, die Ausbildung im Bereich Gesundheitsförderung zu intensivieren. Andere halten das nicht für die Lösung. Zu ihnen zählt Golla: Am Institut für Pflegewissenschaften der IMC Krems beschäftigen sich die Studierenden bereits ab dem ersten Semester mit Gesundheitsförderung und Prävention. Zwei ECTS-Punkte sind für das generelle Konzept vorgesehen, dazu kommt die Einbettung in Public Health als übergeordnetes Fach. Institutsleiter Golla betont, dass Prävention nicht nur auf einzelne Lehrveranstaltungen beschränkt ist, sondern in vielen Bereichen quer durch das Curriculum vorkommt. Von der Planung von Interventionen bis hin zur Begleitung von Patienten zieht sich das Thema durch alle sechs Semester.
Immer wieder wird diskutiert, ob es sinnvoll wäre, eigene Studiengänge für Gesundheitsförderung aufzubauen, wie sie etwa in Irland existieren. Dort gibt es eine dezidierte Ausbildung zum „Health Promoter“. Golla hält diesen Weg nur dann für Erfolg versprechend, wenn auch die strukturellen Rahmenbedingungen und die Finanzierung stimmen. „Es macht keinen Sinn, Leute umfassend auszubilden, wenn es danach keine klaren Stellenprofile und keine Finanzierungsmodelle gibt. Sonst haben wir bestens qualifizierte Gesundheitsförderer, die aber im System nicht gebraucht oder nicht bezahlt werden“, erklärt er. Ohne die Einbettung in Versorgungsstrukturen und eine klare politische Entscheidung bleibe eine solche Ausbildung ein Strohfeuer.
Wie wirkungsvolle Umsetzung der Prävention aussehen kann, zeigt das Beispiel Japan. Dort wird bei allen Menschen ab dem 40. Lebensjahr regelmäßig der Bauchumfang gemessen. Wer bestimmte Werte überschreitet, muss verpflichtend an Gesundheitsprogrammen teilnehmen. Unternehmen, die zu viele Mitarbeitende mit erhöhtem Risiko beschäftigen, werden finanziell bestraft. „Das mag aus europäischer Sicht sehr rigoros wirken, ist in Japan aber gängige Praxis. Die Unternehmen haben dadurch einen Anreiz, sich aktiv um die Gesundheit ihrer Mitarbeitenden zu kümmern“, so Golla. Ihm ist bewusst, dass die Menschen in Europa für solche Schritte kaum bereit wären – schon der Versuch, liebgewonnene Ernährungs- oder Freizeitgewohnheiten gesetzlich einzuschränken, würde massiven Widerstand hervorrufen. „Wenn Sie dem Österreicher sein liebgewonnenes Schnitzel verbieten, bekommen Sie vermutlich Ärger.“ Dennoch zeige das Beispiel aus seiner Sicht, dass klar definierte und verpflichtende Maßnahmen zu nachhaltigen Effekten führen können.
Dass etwas getan werden muss, ist für die meisten Beteiligten unstrittig. Die Zwänge sind bekannt: Das Gesundheitssystem wird immer schwieriger zu finanzieren. Personalmangel und Überalterung der Gesellschaft belasten es massiv. Dazu kommen neue Herausforderungen durch den Klimawandel und die Digitalisierung. Schon jetzt führen Hitzewellen auch in Österreich zu einem sprunghaften Anstieg von Spitalseinweisungen, insbesondere bei älteren Menschen und bei Patientinnen mit Vorerkrankungen wie COPD oder Asthma. „Wenn es draußen ein Grad wärmer ist, haben wir tausende zusätzliche Einweisungen“, schildert Golla.
Für Pflegekräfte bedeutet das, dass sie auf klimabedingte Belastungen vorbereitet sein müssen – etwa darauf, wie sie mit hitzeempfindlichen Patientinnen umgehen oder wie Angehörige besser geschult werden können. Auch Pollenflug oder zunehmende Allergien wirken sich direkt auf die Arbeit in Spitälern aus. Gesundheitsförderung bedeutet in diesem Zusammenhang: bei den potenziellen Patientinnen und Patienten ein Bewusstsein für die Belastungen zu schaffen und sie so zu beraten, dass sie mit klimabedingten Risiken besser umgehen können.
Die Digitalisierung bringt eine doppelte Herausforderung: Sie eröffnet neue Möglichkeiten, etwa durch Apps zur Gesundheitsüberwachung oder durch digitale Beratung. Gleichzeitig entstehen aber neue Risiken: Bewegungsmangel, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und psychische Probleme durch exzessive Mediennutzung sind heute schon sichtbar. „Sitzen ist das neue Rauchen“, sagt Golla. Gleichzeitig führen soziale Medien zu einer Zunahme von Depressionen und psychischen Belastungen bei Jugendlichen – und zu immer mehr Patientinnen und Patienten, die vermeintliches Fachwissen aus TikTok oder Instagram beziehen. „Wir müssen die Studierenden darauf vorbereiten, wie sie damit umgehen, wenn ihnen ein Patient plötzlich erklärt, dass Zucker gesund ist, weil das eine Influencerin behauptet“, so Golla. „Da braucht es Aufklärungskompetenz und die Fähigkeit, Informationen einzuordnen.“
Auch Petra Plunger, Senior Health Expert am Kompetenzzentrum Zukunft Gesundheitsförderung in der Gesundheit Österreich GmbH (GÖG), betont die Notwendigkeit, die Aus- und Weiterbildung breiter aufzustellen. Sie hat gemeinsam mit Kolleginnen die Studie veröffentlicht, die sich mit „Gesundheitsförderung und -weiterbildung im Public-Health-Kontext in Österreich“ befasst.
„Wir wollen Menschen befähigen, gesundheitsförderliche Entscheidungen zu treffen. Das gelingt aber nur, wenn auch die Umweltbedingungen stimmen. Make the healthy choice the easy choice – das ist ein bekannter Leitsatz“, sagt Plunger. Sie erklärt das anschaulich: “Wenn ich möchte, dass die Menschen sich bewegen und den Weg zum Einkaufen zu Fuß oder mit dem Rad absolvieren, dann muss ich den Rahmen dafür schaffen“, so Plunger. „Das können bewegungsfreundliche Wohnquartiere sein, sichere Radwege oder wohnortnahe Nahversorgung.“
Die GÖG-Expertin betont, dass Gesundheitsförderung nicht nur medizinische Expertise brauche, sondern interdisziplinär angelegt sein müsse. Raumplanung, Architektur, Soziologie oder Psychologie spielen dabei ebenso eine Rolle wie klassische Gesundheitswissenschaften. Ein wichtiger Punkt in der Aus- und Weiterbildung sei für die Hochschulen, die Praxisanbindung zu verstärken. Kooperationen mit Organisationen, semesterübergreifende Projekte oder engere Vernetzung mit Arbeitgeberinnen könnten helfen, den Transfer in die Praxis zu unterstützen. Auch die Förderung von Kompetenzen wie Kommunikation, Konfliktmanagement oder Gruppenleitung sei zentral, damit Absolventinnen und Absolventen in der Lage sind, gesellschaftliche Veränderungsprozesse zu begleiten.
Plunger schildert anhand eines Projekts, wie Gesundheitsförderung in der Praxis funktionieren kann – und zwar anhand des Projekts „Demenzfreundliche Apotheke“, das sie geleitet hat. Gemeinsam mit Apotheken wurde daran gearbeitet, deren Angebote für Menschen mit Demenz und deren Angehörige zu verbessern. „Dabei ging es darum, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Apotheken zu befähigen, ihr Wissen besser zu nutzen und zu erweitern – immer mit dem Ziel: Wie können wir die Menschen, die von dieser Krankheit betroffen sind, besser dabei unterstützen mit ihr umzugehen“, schildert Plunger.
Ein konkretes Ergebnis des Projekts bestand unter anderem darin, den Fokus der Beratung über das rein Pharmazeutische hinaus zu erweitern und sie in neuer Form anzubieten. „Ein Teil der Beratung können auch Informationen über Entlastungen und Unterstützungen für betreuende Angehörige sein, die in der Umgebung von Organisationen der sozialen Wohlfahrt angeboten werden“, nennt Plunger ein Beispiel. Ein anderes: Es ist im Alltag in der Apotheke oft schwierig, die Kundinnen und Kunden in Ruhe und Diskretion zu beraten. „In dem Projekt wurde daher die Idee entwickelt, eigene Beratungstermine anzubieten“, schildert Plunger. Das Projekt zeige, „dass Apotheken als niedrigschwellige Einrichtungen eine wichtige Rolle spielen können – viele Menschen kommen regelmäßig dorthin, nicht nur wegen Medikamenten, sondern auch wegen Beratung und Alltagsfragen. So können gerade Apotheken zu Orten werden, an denen Gesundheitsförderung im Alltag spürbar wird.“
Plunger macht deutlich, dass Gesundheitsförderung Zeit braucht. Wirkungen entstehen nicht sofort, sondern oft erst mittel- bis langfristig. „Gesundheit entsteht im Alltag, nicht nur im Gesundheitssystem. Deshalb ist es entscheidend, die Lebenswelten der Menschen in den Blick zu nehmen“, meint sie. „Strukturelle Veränderungen, gestiegene Lebensqualität oder besseres Gesundheitswissen sind für die Zukunft unverzichtbar.“ Sie sieht eine zentrale Aufgabe darin, die Gesundheitsförderungen auf die großen gesellschaftlichen Transformationen auszurichten – die Klimakrise, die digitale Transformation und der demografische Wandel. Plunger: „Gesundheitsförderung ist nie statisch. Sie muss sich laufend neuen Herausforderungen anpassen.“
Quellen und Links:
Quelle: ÖKZ 5/2025, 66. Jahrgang, Springer Verlag.