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Sicherer Schritt

22. Februar 2022 | Regina Magdalena Smrcka
Blinder Pensionist "liest" Buch.
Blinder Pensionist "liest" Buch.

Zwei junge Niederösterreicher entwickeln einen zündholzschachtelgroßen Ultraschall-Sensor, der blinde oder sehbehinderte Menschen sicher durch die Welt geleitet. Die Kassen zahlen für die Geräte der medizintechnischen Klasse 1 aber nur ungern.

Links, rechts, links, rechts. Petra Aigners Blindenstock wandert gleichmäßig über den Boden. Konzentriert setzt Aigner einen Fuß vor den anderen. Ihre Sehschwäche macht sie vorsichtig. Plötzlich ertönt ein Vibrationsgeräusch. Aigners Schuhe melden sich. Die Abstände zwischen den Brummern werden kürzer – ähnlich einer Einparkhilfe im Auto. Zuletzt geht das Vibrationsgeräusch in einen Dauerton über – die Schuhsohlen melden ein unmittelbares Hindernis. Schon schlägt der Blindenstock an der Gehsteigkante an. „Ich habe die Stufe definitiv früher erkannt, obwohl ich noch nicht mit der Technik eingespielt bin“, so Petra Aigner, eine der NutzerInnen des „InnoMake“. „Ich fühle mich in dem Schuh sicherer, weil man sich nicht mehr hundertprozentig auf den Boden konzentrieren muss.“

 

Persönlicher Zugang

Hinter dem Schuh mit der Warnfunktion steckt die Technologie eines Start-ups aus dem Weinviertler Weiler Hautzendorf. Kevin Pajestka und Co-Founder Markus Raffer, selbst sehbehindert, arbeiten seit 2016 an InnoMake. Ein Sensor im Frontbereich des Schuhs überwacht die Umgebung bis zu einem Radius von vier Metern. Ein Ultraschall-Sensor erkennt, ob sich ein Hindernis, etwa Person oder Laternenmast, in diesem Radius befindet. Ist dies der Fall, verspürt der Nutzer entweder wahlweise eine Vibration im Schuh, deren Impulse immer schneller abgegeben werden, je näher man dem Hindernis kommt, oder ein dementsprechendes akustisches Signal über den Lautsprecher des Smartphones. Auch beide Warnhinweise gleichzeitig sind möglich. Durch die Kooperation mit zwei Unternehmen (Waldviertler Schuhe und Schuhhersteller Hartjes) ist das junge Unternehmen „Tec-Innovation“ im Begriff, den Markt zu erobern.

Schulterschluss: Die Zusammenarbeit mit der Waldviertler Schuhmanufaktur GEA verlieh der Gründungsgeschichte des Weinviertler Duos einen entscheidenden Schub.

InnoMake kann per App gesteuert werden. Sind die akustischen Hinweise eingestellt, werden diese an Kopfhörer bzw. Knochenkopfhörer weitergeleitet, um auch noch informationsgebende Hintergrundgeräusche wie Autos wahrnehmen zu können. Wird der „Intelligente Modus“ eingeschaltet, hört das dauerhafte Vibrieren vor einem Hindernis, wie einer Küchenzeile zu Hause, der Menschenschlange vor der Rolltreppe oder dem Schreibtisch in der Arbeit, nach ein paar Sekunden auf, sobald die Füße ruhig stehen. Mit dem Anheben eines Fußes wird das Signal wieder aktiviert. So erspart man sich umständliches Ein- oder Ausschalten des Technikaufsatzes an der Schuhspitze. Zur eigenen Sicherheit und Erkennbarkeit bei Dunkelheit kann ein zusätzliches LED-Licht an der Schuhspitze benutzt werden.Alltagstauglichkeit

Derzeit wird die Entwicklung von Tec-Innovation durch die Hilfsgemeinschaft der Blinden und Sehschwachen Österreichs einem Praxistest unterzogen. „Wie lange die Nutzer brauchen, um sich an das Produkt zu gewöhnen, liegt an der eigenen Lernfähigkeit und Lernbereitschaft,“ erklärt Fredrik Fischer, Chef­tester des Hilfswerkes. Die Orientierung an akustischen Signalen sei eine ungewohnte Form der Steuerung. „Die Art, wie der Schuh kommuniziert, ist wie eine neue Sprache.“ Die Signale seien aber schlüssig zu verstehen.

InnoMake: Kevin Pajestka und Markus Raffer (CEO).

Die beiden Gründer entwickeln Technologie, die das Leben von Sehbehinderten erleichtern kann. Kevin Pajestka (li) ist der Tüftler und Techniker des Duos. Markus Raffer übernimmt den Part des CEO.

Für Tec-Innovation-Mitbegründer Markus Raffer kommt der Gewöhnungsbedarf nicht überraschend. „Natürlich ist eine Einschulung notwendig. Der InnoMake ist kein Gerät, mit dem Leute schon seit 20, 30 Jahren vertraut sind.“ Und selbst beim Langstock, dem gängigsten Hilfsmittel für Sehbehinderte, gäbe es Einschulungen durch Mobilitätstrainer. „Genauso ist es mit unserem Produkt auch. Nicht jeder Kunde ist technikaffin.“ Raffer verwendet den „InnoMake“, seit das allererste Gerät für die Straße bereit war.

 

Vom Prototyp zum High-Tech Medizinprodukt

Der ursprüngliche Prototyp, damals noch WALKASSIST tituliert, entstand im Rahmen einer Diplomarbeit von Kevin Pajestka an der HTL Mistelbach. Gedacht für einen Nachbarn, der an Morbus Parkinson erkrankt war, stellte sich rasch heraus, dass die prämierte Diplomarbeit eine entscheidende Orientierungshilfe für sehschwache und blinde Menschen darstellen kann. Begonnen hat alles mit Erstversuchen im Bereich der Schaltungstechnik. „Wie funktioniert Ultraschall? Wie verarbeite ich diese Signale?“, erforschte Gesellschafter Pajestka. Der Technik-Aufsatz am Schuh sendet Ultraschallwellen in die Umgebung. Diese werden durch Hindernisse reflektiert, an den Schuh zurückgesandt und von Detektoren aufgenommen.

Das System ähnelt einem Sonar, bei dem durch ausgesandte Schallimpulse Objekte aufgespürt und deren Entfernung abgeschätzt werden kann. „Die Technik schlug am Anfang bereits bei normalen Böden an. Der menschliche Fuß neigt sich“, erzählt Pajestka von trögen Momenten des Anfangs. Ein Beschleunigungs- und Lagesensor löste das Problem. Im Rahmen des Entwicklungsprozesses fand auch eine Geh- und Ganganalyse am Spital Speising mit zwei Probanden statt. Zur Verfügung stellten sich ein älterer Herr ohne Langstock, der voll blind ist, und ein jüngerer Tester, der Langstockgeher ist. „Hier war es uns sehr wichtig, zwei unterschiedliche Gangarten zu betrachten, die auch vom Alter und Hilfsmittel unterschiedlich waren.“ Beim Prototyp war die Elektronik noch in der Schuhsohle verbaut. „Erst nach jahrelanger Arbeit gelang es uns, Prozessorteile und Platine, welche ursprünglich die Größe eines Handys hatten, auf 2,5 x 2 cm zu verkleinern und so vom Schuh zu lösen“, erklärt Pajestka. An der Vorderseite jedes Schuhs ist eine robuste Metallschiene eingearbeitet, welche wie ein Einschubfach fungiert, auf das ein wasser- und staubresistentes Gehäuse mit der darin befindlichen Technik befestigt werden kann. In diesem befindet sich die gesamte Elektronik und Sensorik sowie ein leistungsstarker Akku. So benötigt der Endkunde nur zwei Gehäuseteile mit integrierter Elektronik und kann diese auf unterschiedlichen Schuhpaaren verwenden.

 

Made in Austria

Ein Paar „InnoMake“ Schuhe inkl. Technik-Aufsätzen und Ladekabel kostet € 3.840,–.
Als Medizinprodukt der Klasse 1 besteht bei der Deutschen Krankenversicherung ein Rechtsanspruch auf den vollen Ersatz der Kosten. In Österreich ist die Situation deutlich schwieriger. „Unsere KundInnen müssen sich an bis zu sieben unterschiedliche Stellen wenden, die aber jeweils nur Teilbeträge ersetzen.“ Unterstützung und Beratung bei der Kostenübernahme im Rahmen von Hilfsmitteleinreichungen bietet dabei die „Hilfsgemeinschaft der Blinden und Sehschwachen Österreichs“ an. Mit der Klassifizierung zum Medizinprodukt kämpft Tec-Innovation um die große Bühne: Die Hautzendorfer wollen zum Vertragspartner der Krankenkassen aufsteigen, um in einer ersten Phase den nationalen Markt zu erobern.

 

Forschung und Weiterentwicklung

Aktuell in Arbeit ist eine Weiterentwicklung des bereits am Markt erhältlichen „InnoMake“. Die zweite Generation des InnoMake wird mit einer Kamera ausgestattet und unter Nutzung von Künstlicher Intelligenz angesteuert. InnoMake II soll auch in schwierigem Gelände wie bei abwärts führenden Stiegen oder Löchern im Boden Unterstützung liefern. „Der Marktstart ist noch nicht absehbar“, erklärt Pajestka das geplante Vorhaben. „Im Bereich der künstlichen Intelligenz müssen die Systeme erst auf unsere Algorithmen trainiert werden.“ Luft nach oben gäbe es immer, wie die Gründer von Tec-Innovation einräumen. „Als Entwickler ist man nie fertig.“ 

Quelle: ÖKZ 1-2/2022, 63. Jahrgang, Springer-Verlag.

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