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Daniel Rückert: „KI demokratisiert die Medizin“

27. Juni 2025 | Josef Ruhaltinger
Daniel Rückert, einer der führenden Forscher auf dem Gebiet der Künstlichen Intelligenz und deren Anwendungen in der Medizin.
Daniel Rückert, einer der führenden Forscher auf dem Gebiet der Künstlichen Intelligenz und deren Anwendungen in der Medizin.

Der Münchner Professor Daniel Rückert gilt als einer der einflussreichsten KI-Forscher Europas. Der Informatiker beschreibt die Chancen eines tausendfach einsetzbaren Expertenwissens und warnt vor der Übermacht der Bedenkenträger.

Es gibt keinen Artikel über Innovationen und keine Geschichte über den medizinischen Fortschritt, in der die Technologie der Künstlichen Intelligenz nicht eine wichtige Rolle spielt. Ist die öffentliche Aufgeregtheit zum Thema KI gerechtfertigt?


Daniel Rückert: "Da ist schon was dran. Ich glaube, dass der Hype, den wir gerade beim Thema der Künstlichen Intelligenz erleben, berechtigt ist. Ich bin mir sicher, dass KI die Medizin in den nächsten zehn Jahren wirklich revolutionieren wird. Viele von uns nutzen KI im Alltag, ob es nun ChatGPT ist oder andere Anwendungen. Für die Medizin bedeutet die Technologie einen grundlegenden Wandel. KI entlastet nicht nur Ärztinnen und Ärzte, sie versetzt auch Patientinnen und Patienten in die Lage, mehr Informationen zu generieren. Auch wenn es etwas gestelzt klingt: KI demokratisiert in gewisser Weise die Medizin. Gleichzeitig sehen wir, dass sich durch KI der Zugang zu medizinischem Wissen verändert – weg von zentralisierten Wissensinstanzen hin zu dezentral verfügbaren Hilfsmitteln. Das hat Konsequenzen für Ausbildung, Gesundheitskompetenz und auch die Rollenverteilung im Gesundheitssystem."

Wir verstehen, warum die Dampfmaschine die industrielle Produktion verändern konnte. Bei den Methoden der KI ist dies weniger leicht nachvollziehbar. Was macht die Möglichkeiten der Künstlichen Intelligenz so revolutionär?

"Ein Kollege hat das mal so formuliert: Als Mediziner braucht man rund 15 Jahre Ausbildung, bis man ein echter Experte auf einem Fachgebiet ist. Die KI ist schneller. Wir können heute Modelle trainieren, deren Grundlagen noch nicht ganz auf dem Niveau eines ausgewiesenen Experten sind, aber schon sehr komplexe Fragestellungen beantworten können. Und das in tausendfacher Reproduzierbarkeit. Das bedeutet, wir haben quasi Tausende „digitale Mediziner“ zur Verfügung, deren Wissen in Praxen und Spitälern unendlich oft eingesetzt werden kann. Diese breite Verfügbarkeit von Expertenwissen eröffnet völlig neue Perspektiven der Versorgung. Das ist für mich eine echte Revolution. Vor allem die Möglichkeit, dieses Wissen konstant zu aktualisieren und auf individuelle Fragestellungen zuzuschneiden, eröffnet bislang nicht gekannte Formen in der medizinischen Betreuung. Es geht also nicht nur um Automatisierung, sondern um eine tiefgreifende Transformation des Wissenszugangs."

Was können Sie mit KI heute, was vor zehn Jahren undenkbar gewesen wäre?

"Zwei Beispiele aus der Radiologie: Erstens: Durch KI können wir heute die Strahlendosis bei CT-Scans, die der Patient abbekommt, deutlich reduzieren und generieren immer noch hochqualitative CT-Bilder. Das war mit klassischer Physik nicht möglich. Zweitens: Bei der Magnetresonanztomografie können wir die Aufnahmezeiten verkürzen, was insbesondere für kranke Patientinnen und Patienten eine Erleichterung ist. Wenn es um Herzkreislauferkrankungen geht, müssen die Patienten in der Röhre auch während der Bildaufnahme ihren Atem anhalten, damit die Scans klinisch nutzbar sind. Das ist bei konventioneller Vorgangsweise für viele Menschen eine echte Belastung. Das ist vorbei. Beide genannten KI-Verfahren sind inzwischen klinischer Standard. Hinzu kommt: Wir können durch Deep-Learning-Verfahren Bilder rekon­struieren, die vorher als unbrauchbar galten. Das steigert nicht nur die Effizienz, sondern reduziert auch den ökologischen Fußabdruck im Spitalsbetrieb. In Zukunft könnten solche Verfahren dazu beitragen, dass Bildgebung mobil und sogar häuslich denkbar wird – ein Quantensprung für die Versorgung im ländlichen Raum."

Der RSNA-Kongress in Chicago ist für Mediziner und Medizintechniker das Hochamt der bildgebenden Medizin. Dort stritten ein Hardware- und ein Softwareentwickler da­rüber, wer der eigentliche Innovationstreiber ist. „Ohne uns würden eure Patienten noch immer verbrennen“, sagte der Softwaremann zum Medizintechniker. Wer treibt die Innovation wirklich an?

"Beide Seiten treiben Innovation. Hardware-Innovationen wie Photon-Counting-CTs sind bahnbrechend, brauchen aber Jahre, bis sie flächendeckend ankommen. KI-basierte Software kann hingegen bestehende Geräte aufwerten und viel schneller in den klinischen Alltag inte­griert werden – das ist wie bei einem Update eines Betriebssystems. Die Zukunft liegt in der Kombination: intelligente Software auf leistungsstarker Hardware. Innovation ist immer ein Zusammenspiel von Technik, Anwendung und Implementierung."

Sie haben die Zuverlässigkeit von Chatbots und Large Language Models im klinischen Alltag untersucht und vor einem frühzeitigen Einsatz dieser Technologie bei dia­gnostischen Verfahren gewarnt. Bei aller Vorsicht: Was werden diese Tools in naher Zukunft leisten können?

"Ich denke, gerade in der Triage – also bei der Einschätzung von Symptomen – können Chatbots eine zentrale Rolle spielen. Sie sind nie genervt, erklären auch beim dritten Mal geduldig und tragen dazu bei, die Gesundheitsversorgung effizienter zu machen. Auch in der Pflege gibt es große Anwendungsfelder von diesen Technologien, die interaktiv sind und mit Patienten gut kommunizieren können.Da wird in den nächsten 15 Jahren viel möglich werden. Wichtig ist aber, dass wir sie als Medizinprodukte zulassen. Sie müssen klinisch geprüft werden. Das verlangt nach wissenschaftlich fundierten Studien, um die Sicherheit zu garantieren. Auch ethische Aspekte wie Erreichbarkeit, Inklusion und Fehlertransparenz müssen mitgedacht werden. Wenn das gelingt, können solche Tools ein wichtiges Bindeglied zwischen Patienten und Versorgungssystem werden. Ihre Bedeutung wird weiter steigen, auch in der psychischen Gesundheit, in der Rehabilitation oder in der Nachsorge."

Müssen Ärzte um ihren Stellenwert fürchten?

"Die Besorgnis teile ich nicht. Es geht nicht darum, Ärzte zu ersetzen. Wir sind ganz und gar nicht in der Situation, dass wir zu viele Mediziner und zu viele Pflegende hätten. Wir stehen vor einem akuten Fachkräftemangel, wie jeder weiß. Wir müssen dem Gesundheitspersonal und den Patienten Werkzeuge in die Hand zu geben, die die Arbeit effizienter machen. Gerade bei chronisch überlasteten Systemen wie unseren ist das wichtig. Der Arzt bleibt immer in der Verantwortung. Aber KI kann helfen, Patienten gut informiert und damit gesünder zu halten. Das ist ein Gewinn für alle. Zudem verändert sich die Rolle des medizinischen Personals: weg vom Gatekeeper hin zum Navigator in einer komplexeren Versorgungslandschaft."

Wie gut sind KI-Diagnosen im Vergleich zu menschlichen Diagnosen?

"International ist die Regel weitverbreitet, dass in der Mammografie jedes Bild von zwei Radiologen angeguckt werden soll. Es ist schon heute so, dass auf diesen Gebieten KI-Werkzeuge als „Second Reader“ eingesetzt werden und teilweise besser abschneiden als der begutachtende zweite Arzt. Bei onkologischen Erkrankungen ist es oft so, dass Diagnose und Behandlungsplan nicht von einem einzelnen Arzt gemacht werden, sondern in multidisziplinären Tumorboards diskutiert und entschieden werden. Hier kann KI helfen, Literatur in Echtzeit zu liefern oder seltene Fälle besser einzuordnen, weil sie mehr Vergleichswerte kennt. Das spart nicht nur Zeit, sondern erhöht auch die dia­gnostische Sicherheit. Aber: KI muss eingebettet sein in multiprofessionelle Entscheidungsprozesse. Nur dann entfaltet sie ihr volles Potenzial. Auch bei der Ausbildung kann sie helfen – indem sie jüngeren Kolleginnen und Kollegen sofort Feedback gibt."

Wie kann man KI sicher machen?

"Erstens braucht es klare Zertifizierungsprozesse. Zweitens muss der Datenschutz gewährleistet sein. Drittens brauchen wir Aufklärung: Was kann KI, was nicht? Modelle wie ChatGPT halluzinieren manchmal – das müssen Nutzer wissen. Und es braucht Transparenz darüber, welche Daten und Prozesse hinter einem KI-Modell stehen. Bildung, Offenheit und Vertrauen sind die drei Säulen für einen breiten Zugang. Nur wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, kann KI global wirken – jenseits von Markt- und Machtfragen."

KI gilt als Herrschaftswissen weniger Industriestaaten. Wie kann der Zugang zu solchen Tools auch in ressourcenschwachen Regionen sichergestellt werden?

"Open-Source-Modelle wie jene von Meta sind ein Anfang. Sie machen es möglich, dass KI auch dort genutzt werden kann, wo keine teure Infrastruktur vorhanden ist. Gleichzeitig wird es immer auch kommerzielle Modelle geben, die besser performen, aber eben auch Geld kosten. Entscheidend ist, dass wir auch bei den Daten fair bleiben – und die Beiträge von Patientinnen und Patienten nicht unter Wert verscherbeln. Wir brauchen internationale Rahmenwerke, die genau das sicherstellen. Und wir brauchen globale Allianzen für Training, Infrastruktur und Zugang."

Apropos Daten: Wie kommen wir raus aus den Datensilos?

"In Deutschland wie in Österreich ist das ein echtes Problem. Die elektronische Patientenakte ePA, wie sie in Deutschland heißt, oder ELGA in Österreich ist ein Schritt nach vorne. Der European Health Data Space formuliert dafür auf EU-Ebene große Ziele. Eine Vorgabe muss Priorität haben: Interoperabilität. Nur wenn wir alle Daten nutzen, können wir auch faire und robuste KI-Modelle bauen. Fragmentierte Daten führen zu fragmentierter Versorgung. Das dürfen wir uns nicht mehr leisten. Und wir müssen den Beitrag der Datengeber – also der Patientinnen und Patienten – stärker wertschätzen. Daten sind kein Abfallprodukt, sondern ein zentraler Rohstoff für Innovation."

Droht Europa in der KI den Anschluss an die USA und den pazifischen Raum zu verlieren?

"Wenn wir nicht aufpassen, ja. Es braucht mehr Mut, mehr Tempo, mehr Fokus auf das, was KI leisten kann. Es ist eine europäische und noch mehr eine deutsch-österreichische Haltung, immer nur auf die Risiken zu schauen. Wir brauchen eine europäische Erzählung von technologischem Fortschritt, die nicht im „Was könnte schiefgehen?“ stecken bleibt, sondern sich fragt: „Was können wir besser machen?“ KI ist kein Schreckgespenst – sie ist ein Werkzeug. Und wenn Europa in der Vergangenheit eines gut konnte, dann war es das: Werkzeuge verbessern."

Ist das auch eine Frage der Mentalität?

"Vielleicht. In Europa sehen wir oft zuerst die Probleme. Die USA oder auch China investieren einfach los. Wir sollten selbstbewusster sein – besonders im Gesundheitssystem, das dringend Innovation braucht. Die Technik ist da. Der Mut fehlt. Und Mut ist nicht das Gegenteil von Vorsicht – sondern von Lähmung."

Wie schwer ist es, Innovation in Kliniken zu bringen?

"Widerstand sehe ich weniger bei den Ärzten. Viele sagen: „Bitte bringt das schnell in die Praxis, wir haben Personalmangel.“ Das Problem ist eher, dass es an Start-ups fehlt, die aus Forschung Produkte machen. Dabei kämpfen wir mit Wechselwirkungen. Wenn es Start-ups mit echten Ideen gibt, dann haben sie es schwer, in den Kliniken Fuß zu fassen. Die Beschaffungsprozesse sind komplex, der rechtliche Rahmen träge. Wir brauchen Testumgebungen und Innovationsräume, in denen neue Lösungen ausprobiert werden können, bevor sie flächendeckend ausgerollt werden. Und wir brauchen neue Rollenprofile: Innovationsmanager, klinische Informatiker, Datenethiker – das alles gehört in moderne Versorgungslandschaften und in den modernen Klinikbetrieb."

Hilft Ihnen eine Auszeichnung wie der Gottfried Wilhelm Leibniz-Preis, auf der­artige Hemmnisse Einfluss zu nehmen?

"Ja, solche Auszeichnungen helfen, ernst genommen zu werden – besonders in einem hierarchischen Umfeld wie der Medizin. Aber ein Preis allein reicht nicht. Man muss auch Substanz liefern. Und man muss die Sprache der Klinik verstehen. Ich komme aus der Informatik – das hilft manchmal, ist aber auch eine He­rausforderung. Der Preis macht Türen auf, aber durchgehen muss man immer noch selbst. Und mit jeder Tür kommt auch die Verantwortung, realistische Lösungen anzubieten."

Quelle: ÖKZ, 66. JG, 03/2025, Springer-Verlag.

Professor Dr. Daniel Rückert (geb. 1969)

ist im deutschsprachigen Raum einer der führenden Forscher auf dem Gebiet der Künstlichen Intelligenz und deren Anwendungen in der Medizin. Rückert ist Träger des Gottfried Wilhelm Leibniz-Preises 2025, des wichtigsten deutschen Forschungspreises (Dotation von 2,5 Mio. Euro). 

Er studierte Informatik an der TU Berlin (1993) und ging danach zur Promotion an das Imperial College (1997), gefolgt von einem Post-Doc am King’s College London. Seit 2005 hat er den Lehrstuhl für Visual Information Processing am Imperial College inne, wo er auch von 2016 bis 2020 als Dekan tätig war. 

Mit Unterstützung der Alexander von Humboldt-Stiftung konnte die TUM den Spitzenwissenschaftler 2020 vom Imperial College London nach München holen.

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