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Markus Golla: „Pflege wird eine Zwei-Klassen-Frage werden“

2. Oktober 2025 | Josef Ruhaltinger
2-Klassen-Gesellschaft.
2-Klassen-Gesellschaft.

Wir sind mit der Illusion aufgewachsen, das System fängt alles auf. Pflege-Professor Markus Golla im ÖKZ-Interview.

 

Wird die Rekrutierung internationaler Pflegekräfte den Personalmangel im Pflegebereich beseitigen?


Markus Golla: "Lindern vielleicht. Beheben sicher nicht. Dazu ist der künftige Bedarf zu hoch."


Fast jedes Bundesland und nahezu jede Pflegeinstitution betreiben ein eigenes Rekrutierungsprogramm …

"In der Branche der Personalvermittler herrscht die reine Goldgräberstimmung. Strukturell stehen wir aber vor einem Flickenteppich. In den 80er-Jahren hat man Pflegekräfte fliegerweise von den Philippinen geholt. Heute läuft dies kleinteilig und chaotisch ab: Jedes Bundesland fährt sein eigenes Konzept, rekrutiert in Kenia, Kolumbien, Tunesien oder Serbien. Eine einheitliche Österreich-Strategie gibt es nicht. Jeder macht sein eigenes Projekt nach eigenen Standards."
 

Von wie vielen ausländischen Pflege­kolleginnen und -kollegen reden wir?

"Ich kenne keine offiziellen Gesamtzahlen. Wir wissen nur aus einer AMS-Studie: Mehr als die Hälfte der Beschäftigten in der Pflege hat mittlerweile Migrationshintergrund."


Was kann die internationale Rekrutierung zur Lösung des „Pflegenotstandes“ beitragen?

"Sehr wenig. Ich sage: Höchstens fünf bis zehn Prozent unseres Problems lassen sich so beheben. Wir stellen das in der Öffentlichkeit oft größer dar, als es ist. In Wahrheit ziehen wir Substanz aus Ländern ab, die selbst einen massiven Pflegemangel haben. Das ist globaler Raubbau. Dazu kommt die Enttäuschung: Viele der angeworbenen Kräfte sind für den Krankenhausbetrieb ausgebildet, landen bei uns aber fast ausschließlich in der Langzeitpflege – dort, wo niemand hinmöchte. Das ist ein riesiger Unterschied in den Tätigkeiten, und viele springen daher schnell wieder ab. In Deutschland haben vietnamesische Diplomierte, die man rekrutiert hat, nicht einmal ein Jahr durchgehalten und sind zurückgegangen. Auch bei uns sehen wir, dass nach Ende der vertraglichen Verpflichtung viele sofort ins Krankenhaus wechseln oder sich dort freikaufen lassen."
 

Woher die Unzufriedenheit?

"Nicht alle Vermittler sagen ihren Klienten, in welchen Pflegebereichen sie arbeiten werden. In vielen asiatischen Ländern ist Pflege viel stärker medizinisch geprägt. Körperpflege oder Essensversorgung hingegen sind Aufgabe der Familie, nicht der professionellen Pflege. Kommen diese Leute nach Österreich, sind sie irritiert: Hier sind genau diese Tätigkeiten Kern des Berufs."


Welche Rolle spielen die Personalagenturen in diesem System?

"Eine zentrale. Sie sind die Schnittstelle zwischen Ausland und Österreich. Gute Agenturen suchen Kooperationspartner, prüfen Dokumente vorab, liefern komplette Curricula, begleiten durch den gesamten Anerkennungsprozess und fragen im Zweifel nach. Manche decken 70 bis 80 Prozent aller Fälle problemlos ab. Schlechte Agenturen hingegen rekrutieren blind, verstehen die Nostrifizierung nicht, liefern unvollständige Unterlagen oder lassen Bewerber mit dubiosen Sprachzertifikaten antreten. Am Anfang haben wir viele Anträge zurückweisen müssen, weil Unterlagen nicht passten. Heute, nach einem Lernprozess, ist es anders: Von rund 100 Nostrifikationsanträgen pro Jahr scheitern bei uns nur noch fünf bis sechs."


Kann man gute von schlechten Agenturen klar unterscheiden?

"Ja. Gute Agenturen wissen, dass die Vermittlung internationaler Pflegekräfte mehr ist als Recruiting. Sie sehen das Ganze, bereiten sprachlich, fachlich und kulturell vor und liefern saubere Dossiers. Schlechte versuchen es einfach auf Verdacht. Man muss auch sehen: Es gibt inzwischen einen Wildwuchs, bei dem jemand jemanden im Urlaub kennenlernt und glaubt, ohne Rüstzeug und Finanzkraft in die Personalvermittlung einsteigen zu können. Ich bekomme fast täglich Anrufe von Leuten, die fragen: „Wie macht man das?“ Aber das ist kein Geschäft für Quereinsteiger. Ohne tiefes Wissen über Ausbildungsstandards, Gesetze und Integration läuft das nicht."
 

Wie professionalisiert man die Szene?

"Eine staatliche Zertifizierung wäre der nächste logische Schritt. Heute kann jeder eine Agentur aufmachen, und das ist gefährlich. Wir haben in Deutschland gesehen, wie viel Lehrgeld bezahlt wurde, weil Menschen ohne Integrationserfahrung rekrutiert wurden. Das Ergebnis: hohe Fluktuation, kulturelle Brüche, Abwanderung. Viele scheitern nicht an der Arbeit selbst, sondern am Leben außerhalb. Sie vereinsamen, finden keinen Anschluss, keine Community, und werfen dann das Handtuch."
 

Wo warten die Hindernisse?

"Es hakt oft an Kleinigkeiten. Wenn jemand aus Vietnam in einer Kleinstadt im Waldviertel lebt und seinen gewohnten Reis nicht findet, dann ist das für ihn nicht banal, sondern ein großes Problem. Manche Gemeinden haben das verstanden: In Weitra hat sich der Bürgermeister persönlich darum gekümmert, gebrauchte Fahrräder zu organisieren, um den neuen Pflegekräften ein Mindestmaß an Mobilität zu geben. Solche Gesten machen den Unterschied. Integration bedeutet nicht nur Arbeitsplatz, sondern auch Alltag: Sportverein, Lebensmittel, soziale Kontakte. Scheitert das, verliert man die Leute."
 

Welche Weichen muss die Politik stellen, um die Pflege zukunftsfähig zu machen

"Erstens: mehr Geld in die Hauskrankenpflege. Wir kürzen dort, wo wir investieren müssten. Das ist absurd. Zweitens: klare Rollendefinition. Pflegekräfte sollen pflegen, nicht Wohnungen putzen. Drittens: den Beruf attraktiver machen – bessere Rahmenbedingungen für mobile Dienste, vernünftige Entlohnung, gesellschaftliche Wertschätzung. Viertens: Aufklärung. Gesundheit ist keine Selbstverständlichkeit, jeder trägt für sich selbst Verantwortung. Wir sind mit der Illusion aufgewachsen, das System fängt alles auf. Diese Haltung fällt uns jetzt auf den Kopf. Wenn wir so weitermachen, steuern wir auf eine Zwei-Klassen-Pflege zu: Wer in Zukunft zahlt, wird schneller Leistungen bekommen. Wer sich das nicht leisten kann, kommt auf eine Warteliste."
 

Werden wir diese Entwicklung noch verhindern können?

"Ich bin mir nicht mehr sicher."

Quelle: ÖKZ 4/2025, 66. Jahrgang, Springer Verlag.

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