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Man kann sagen, was man will: Aber die Pflegewirtschaft erweist sich konjunkturmäßig als extrem widerstandsfähig. Die Branche sei resilient, heißt es auf Neudeutsch. Die Nische der Personalvermittler für Gesundheitsberufe brummt. Besonders die Rekrutierung internationaler Pflegekräfte treibt dabei eigene Blüten. „Ich könnte gefühlt jeden Tag mit vier verschiedenen Vermittlungsagenturen sprechen. Und alle beteuern, über die perfekte Lösung zu verfügen“, erzählt Michael Urschitz. Er ist für die Pflegekoordination und Pflegeentwicklung des Innsbrucker Magistrats zuständig. Urschitz stimmt – unter anderem – die Personalbedürfnisse der städtischen Pflege- und Betreuungseinrichtungen aufeinander ab. „Jeder dieser Anrufer erzählt, er habe beste Kontakte in dieses oder jenes Land und er könne ausgebildete Pflegekräfte mit besten Deutschkenntnissen nach Österreich lotsen.“ Seine Reaktion sei „zurückhaltend“, so Urschitz: „Die Rekrutierung und Integration internationalen Pflegepersonals ist ein sehr langwieriger und komplexer Prozess. Das braucht echte Profis.“ Im September ist die erste vietnamesische Fachkraft aus dem Programm am Flughafen gelandet. Vorlaufzeit: fast zwei Jahre. Nicht jede Urlaubsbekanntschaft befähigt zur Personalvermittlung.
Für Markus Golla ist der Trend zu internationalen Rekrutierungen nur ein kleiner Baustein in einer hohen Mauer. Golla gilt als Missionar in Sachen Pflegewirtschaft. Er ist Institutsvorstand für Pflegewissenschaften und Studiengangsleiter für Gesundheits- & Krankenpflege an der IMC FH Krems. Als wichtige Anlaufstation für Nostrifizierungen ist er zentrale Drehscheibe für fast jeden Akteur in der niederösterreichischen Gesundheitsbranche. Seine Erfahrungen unterscheiden sich in nichts von jenen des Innsbrucker Pflegekoordinators Urschitz: „Ich werde ständig von Menschen angesprochen, die eine Agentur aufmachen wollen.“ Sie wollten wissen, wie „die Sache mit den Nostrifizierungen“ ablaufe und wo man „eine Rot-Weiß-Rot-Karte organisieren“ könne, wundert sich der Pflege-Professor über so viel Dilettantismus. Seine Antwort sei stets die gleiche: „Macht eure Hausaufgaben.“ Das Dauerthema Pflegenotstand locke eine wundersame Dichte an frisch berufenen Personalvermittlern und Agenturgründern auf den Plan. „Goldgräber-Stimmung“ bestimme die Atmosphäre, so Golla. Der Pflegewissenschaftler leitet selbst ein Rekrutierungs- und Integrationsprogramm für vietnamesische Pflegekräfte in Niederösterreich.
Die Rekrutierung von außereuropäischen Pflegekräften ist in Österreich kein Novum. In den 70er- und 80er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts wurden philippinische Krankenschwestern „fliegerweise“ nach Wien gebracht, wie sich Markus Golla erinnert. Sie waren über Jahrzehnte fixer Bestandteil fast jeder Wiener Krankenhaus-Station. Die Philippinas – es waren so gut wie keine Männer darunter – wurden zu den Rolemodels eines Konzeptes, das heute den Personalmangel in den heimischen Gesundheitsinstitutionen lindern soll: Die Krankenhaus- und Heimbetreiber rekrutieren ausgebildete Pfleger und Pflegerinnen jenseits der heimischen Grenzen. Nachdem Osteuropa zur Gänze abgegrast scheint, konzentrieren sich die Rekrutierungsbemühungen auf außereuropäische Staaten. Pflege-Universitäten in Tunesien, Kolumbien, Vietnam, Jordanien, Indonesien oder Kenia gelten heute als menschliches Reservoir für den heimischen Fachkräftemangel. Dabei gibt es keine übereinstimmenden Zahlen, wie viele des heimischen Pflegepersonals aus nicht-europäischen Ländern stammen. Eine Eurostat-Statistik spricht von 13,7% von im Ausland ausgebildeten Pflegekräften, die in Österreichs Kliniken und Pflegeheimen beschäftigt sind. Nur die Schweiz (29,7%) und Irland (51,8%) weisen in dieser Statistik einen höheren Migranten-Anteil auf.
Die absoluten Zahlen klingen überschaubar: Die Eurostat-Angaben sprechen von 917 Pflegefachkräften mit außerösterreichischer Ausbildung, die im Jahr 2023 ihren Job in heimischen Kliniken und Pflegeheimen angetreten haben. Gesichert ist, dass sich der Trend zum internationalen Recruiting in den vergangenen vier Jahren deutlich verstärkt hat. Martin Waiguny war bis September Kollegiumsleiter der Kremser Hochschule für Angewandte Wissenschaften IMC, an der auch Markus Golla lehrt. Früher sagte man Rektor. Mit 1. Oktober übernimmt er die Geschäftsführung der FH Kärnten. Waiguny kennt die Branche: Die IMC Krems bietet mehrere Studiengänge aus dem Bereich der Gesundheits- und Pflegewissenschaften an – und ist daher stark im Bereich der Nostrifizierungen engagiert: „Als ich 2019 in Krems in die Leitung gekommen bin, hatten wir zwei, drei Verfahren im Jahr. Momentan sind wir bei über 200 Nostrifikationen.“
Die Anerkennung ausländischer Zertifikate ist für Arbeitgeber und Agenturen gleichermaßen eine bürokratische Herausforderung. Denn die Zuständigkeiten dafür verteilen sich auf mehrere Ebenen. Es sind die Länderinstitutionen, die über die Anerkennung von Zeugnissen bei Pflegeassistenz und Pflegefachassistenz entscheiden. Die Fachhochschulen wiederum nostrifizieren beim gehobenen Dienst. Und es sind die Universitäten, die prüfen, ob die ausländischen Ärztinnen und Ärzte auf dem gleichen Wissensstand sind wie ihre österreichischen Kollegen. Und das alles passiert in jedem Bundesland und in jeder Einrichtung nach unterschiedlichen Maßstäben. Aber der Hindernislauf lohnt: „Die Antragsteller führen nach der Nostrifikation die gleichen akademischen Grade wie immatrikulierte Absolventen.“ Das Rektorat prüfe Identität, Echtheit und Vollständigkeit der Unterlagen, erst danach beurteilen Studiengangsleiter wie Markus Golla und dessen Kollegen die Lehrinhalte der ausländischen Universitäten und Fachschulen.
Die Qualität der Unterlagen kennt dabei eine extreme Bandbreite. Markus Golla erzählt von Bachelorabschlüssen, die an einer Universität mit 2000 Praxisstunden vergeben werden – ähnlich wie an heimischen Pflege-FHs. Er weiß aber auch von Bildungsstätten, die die gleichen Zeugnisse für 300 Praktikumseinheiten ausstellen. Es habe sogar Anträge gegeben, bei denen die ausstellende Pflegeschule nicht existierte. Neben diesen Extrembeispielen erweisen sich vor allem fehlende oder zu oberflächlich gestaltete Praxisblöcke als Stolpersteine. In der IMC Krems wurden vor fünf Jahren noch rund die Hälfte der Anträge negativ beschieden. Aktuell werden laut Martin Waiguny nur mehr 10 bis 15% der Nostrifizierungen abgelehnt.
Für fast alle ausländischen Bewerber gilt, dass sie das eine oder andere Fachmodul nachholen müssen. Dies ist in der Regel den rechtlichen oder pflegerischen Besonderheiten der heimischen Curricula geschuldet. Die fehlenden Nachweise müssen laut Vorschrift in Österreich binnen zwei Jahren nachgeliefert werden. Dies bringt so manche Antragstellerin in Schwierigkeiten. Manchmal gibt es zwar die Kurse, aber nicht im notwendigen Zeitraum. Arbeitgeber und Vermittlungsagenturen fordern seit Langem einen One-Stop-Shop, bei dem sämtliche institutionellen Fäden für Nostrifizierungen und Arbeitsbewilligungen zusammenlaufen. Auf Sachebene laufen die Überlegungen weiter.
Elisabeth Rappold ist bei Gesundheit Österreich (GÖG) Abteilungsleiterin für Gesundheitsberufe und Langzeitpflege und lenkt eine Arbeitsgruppe, die den Wildwuchs bei den Nostrifizierungen lichten soll. Mit „Nursing in Austria“ ist unter gleichlautender Online-Adresse ein Leitfaden entwickelt worden, der entlang von internationalen Vorgaben (siehe „WHO Global Code of Practice on the International Recruitment of Health Personnel“) Nostrifizierungsstandards und Rekrutierungsstrategien in allen Bundesländern vereinheitlichen soll. Dabei gibt es aber ein großes Hindernis: „Wir können nur Empfehlungen geben“, bedauert Elisabeth Rappold. Denn das Gesundheitsministerium, dem das GÖG zugeordnet ist, spiele bei den Zulassungen „nur eine sehr kleine Rolle“. Die wichtigen Regeln würden in anderen Ministerien und Landesrat-Büros gemacht. Die Wirrnisse bei den Nostrifizierungs-Kompetenzen bleiben bis auf Weiteres ungeordnet.
Die Treiber für internationale Anwerbungen sitzen in Österreich auf allen Ebenen. Zu den Akteuren zählen Städte und Bundesländer sowie Klinikverbünde, die eigene Programme fahren, wie der Wiener WIGEV mit #Nurses4Vienna oder mit spezialisierten Personalagenturen kooperieren, die den Zulassungskriterien der öffentlich-rechtlichen Ausschreibungen genügen. Frederic Metlewicz ist Geschäftsführer von Talent & Care, einem Tochterunternehmen des Pflegedienste-Anbieters Humanocare. Wann immer in den Medien von kolumbianischem Pflegepersonal in Österreich die Rede ist, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass die notwendigen Papiere über den Schreibtisch von Frederic Metlewicz gegangen sind. In Summe wurden bislang 500 Pflegekräfte von Talent & Care nach Österreich gelotst, 90% davon aus Kolumbien und – zu einem deutlich kleineren Teil – aus Ecuador. 50% arbeiten nach den Nostrifizierungen als diplomierte Fachkräfte in Spitälern, 50% in der Langzeitpflege. Metlewicz ist verärgert über den schlechten Ruf, den amateurhafte Mitbewerber in seine Branche getragen hätten: „Viele neue Agenturen kommen aus der Personalvermittlung und glauben, internationales Recruiting sei eine Erweiterung ihres bisherigen Geschäftes.“ Aber das konventionelle Vermittlungsgeschäft mache in seiner Nische vielleicht zehn Prozent des Aufwands aus. Die anderen 90% bestünden aus Prozessen, die „viel komplexer sind. Auf dem Weg passieren viele Fehler.“ Darum warnt der Talent-&-Care-Chef: „Die aktuelle Goldgräberstimmung ist für alle Akteure gefährlich.“ Der Aufwand, der hinter einer erfolgreichen Anwerbung der Pflegekräfte steckt, ist beträchtlich: Im Zentrum steht Kolumbien, wo Talent & Care eine eigene Agentur und eine eigene Sprachschule für Deutsch unterhält. Sprachschulung im Herkunftsland sei das „entscheidende Kriterium“. Um das Niveau B2, das man für diplomierte Kräfte braucht, zu erreichen, dauert es unter Volleinsatz der Studierenden zwischen zehn und zwölf Monate.
Dies ist der Zeitpunkt, wo sich unter den Interessenten die Spreu vom Weizen trennt: Rund 40% der potenziellen Österreich-Reisenden steigen in der Phase der intensiven Sprachtrainings aus. Unter jenen, die es bis nach Österreich schaffen, liegt die Rückkehrrate laut Frederic Metlewicz nur mehr bei zwei Prozent. In Kolumbien verdienen Pflegekräfte 500 bis 700 Euro im Monat – bei ähnlich hohen Lebenshaltungspreisen. Nur Wohnen und Transport sind billiger. Zum Vergleich: In Österreich liegt das Einstiegsgehalt nach erfolgreicher Nostrifizierung zur DGKP inklusive 13. und 14. Monatszahlung bei etwa 3000 Euro netto, wenn klassische Nachtdienste eingerechnet werden. Für die Teilnehmer entstünden während des gesamten Vorbereitungs- und Vermittlungsprozesses keine Kosten. Nach dem „Employer-Paid“-Modell übernehmen die künftigen Arbeitgeber sämtliche Ausgaben für Kurs, Flug und Behördenwege. Im Gegenzug verpflichten sich die Pflegekräfte, für mindestens zwei, bei manchen Arbeitgebern auch vier Jahre in Österreich zu arbeiten.
Die Strategie der Rekrutierung ausländischer Pflegekräfte bleibt dennoch umstritten. Die WHO prognostiziert den Fehlbestand an Pflegern und Pflegerinnen bis 2030 weltweit auf 4,8 Millionen Menschen. Vor allem in den Staaten mit schwachen Volkswirtschaften werde dies zu Betreuungsengpässen führen, so die Weltgesundheitsorganisation. GÖG-Abteilungsleiterin Elisabeth Rappold, neben zwei akademischen Abschlüssen selbst diplomierte Krankenpflegerin, meint: „Die ganze nördliche Welthalbkugel sucht im globalen Süden nach Pflegekräften. Das kann sich irgendwann nicht ausgehen.“ Auch Markus Golla ist im Grunde seines Herzens skeptisch. Er hält die Abwerbung des hochqualifizierten Personals aus den Schwellenländern für „globalen und humanitären Raubbau“. Vermittler und Pflegeverantwortliche sehen dies naturgemäß anders. Glaubt man ihnen, dann sind die Regierungen in den Herkunftsländern durch die Bank kooperativ, um nicht zu sagen froh. In ihren Heimatländern seien viele Absolventen ohne passenden Job oder in prekären Verhältnissen. Und man halte sich penibel an die WHO-Safeguard-List, die Länder mit unterbesetzten Pflegesektoren vor dem pflegerischen Brain Drain schützen soll.
Unter den handelnden Personen besteht Einhelligkeit, dass die Beschäftigung außereuropäischen Personals die heimische Pflegemisere nicht lösen wird. Pflegeprofessor Golla hegt grundsätzliche Zweifel, ob sich der gordische Knoten rund um den Fachkräftemangel im Gesundheitsbereich überhaupt zerschlagen lässt. Zu weit sei die Schere zwischen steigendem Pflegebedarf und notwendiger Personaldecke gediehen. Abhilfe schaffe nur Prävention, damit die Menschen gesünder alt werden und weniger Pflege brauchen. „Aber wie kommuniziert man, dass es in einer Geschichte kein Happy End gibt?“
Quelle: ÖKZ 4/2025, 66. Jahrgang, Springer Verlag.