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Martin Sprenger: „Rauch hatte wenig zu verlieren“

7. Januar 2024 | Josef Ruhaltinger
Dr.med.univ. Martin Sprenger
Dr.med.univ. Martin Sprenger

Herr Sprenger, Gesundheitsminister Johannes Rauch musste kurzfristig etliche Passagen seines Maßnahmenpaketes auf Druck der Ärztekammer zurücknehmen. Wie sehr bremsen diese Korrekturen die Gestaltungskraft der Reform?


Martin Sprenger: "Die geplanten Maßnahmen waren längst überfällige Adjustierungen, die seit vielen Jahren gefordert werden. Jetzt ist auch davon wenig übriggeblieben. Ich sehe deshalb keinen Grund zu feiern. Es ist nicht die angekündigte „größte Strukturreform der vergangenen Jahrzehnte“. Minister Rauch war bemüht, die die Finanzausgleichsverhandlungen bestmöglich zu nutzen. Er hatte wenig zu verlieren. Das ermöglichte ihm auch, sich mit mächtigen Gegnern wie der Ärztekammer anzulegen. Rauch musste dafür jede Menge Prügel einstecken. Wobei Bezeichnungen wie „Totengräber des solidarischen Gesundheitssystems“ eine Frechheit waren."

Gibt es etwas, das die Rauchsche Reform noch „groß“ machen kann?

"Leider nicht viel. Angesichts der Tatsache, dass es 1960 um zirka 100 allgemeinmedizinische Kassenstellen mehr gab als heute, sind 100 zusätzliche Stellen nicht besonders weltbewegend. Ein Entscheidungsboard für Hochpreismedikamente finde ich gut. Fragt sich nur, ob es unabhängig und frei von politischen Einflüssen bleibt. Als Erfolg wird jetzt vor allem das gefallene Vetorecht der Ärztekammer gegen die Stellenpläne und Errichtung von Ambulatorien verkauft. Ob es in der Realität auch wirklich so gelebt wird, bleibt offen. Der Dualismus zwischen ambulant und stationär, das betriebswirtschaftliche Denken in unterschiedlichen Finanzierungstöpfen und eine enorm fragmentierte Versorgung bleiben uns erhalten. Die Länder erhalten 2,4 Milliarden zusätzliches Steuergeld. Der „Gesundheitsanteil“ wird wohl vor allem in die teure stationäre Infra­struktur fließen."

Ist es nicht utopisch, vom Gesundheits­minister eine Kompetenzverschiebung zwischen Bund, Ländern und Kassen zu fordern?

"Bund, Länder und Kassen sind die Zahler im System. Sie verwalten die Mittel, die sie von den Steuer- und Beitragszahlern erhalten. Sie sind verantwortlich für die Rahmenbedingungen, unter denen Gesundheits- und Sozialberufe arbeiten. Sie sind aber auch verantwortlich für die Versorgungsqualität oder eine bedarfs­gerechte Struktur- und Angebotsplanung, zu der auch eine vorausschauende Personalplanung gehört. Die Entscheider folgen politischen Ritualen und Verflechtungen. Es existieren kaum durchschaubare Gesetze und ökonomische Anreize. Um die Gesundheit oder Versorgung der Bürger geht es dabei viel zu selten. Auch wenn es unwahrscheinlich ist, Bund, Länder und Kassen müssen – über Parteigrenzen und Finanzierungstöpfe hinweg – ernsthaft beginnen, den 2013 beschlossenen Zielsteuerungsvertrag umzusetzen."

Was fehlt?

"In den kommenden Jahren braucht es eine starke wohnortnahe Primärversorgung. Da gab es in den letzten Jahren Bewegungen in die richtige Richtung. Die stationäre Hochleistungsversorgung sollte nur mehr von jenen genutzt werden, die sie auch wirklich benötigen. Wir müssen aber auch in die Förderung und Erhaltung von Gesundheit viel mehr Ressourcen investieren. Österreich hat seit 2012 zehn großartige Gesundheitsziele, die aber kaum jemand kennt. Letztendlich muss jeder einzelne von uns wieder mehr Verantwortung übernehmen. Es wird viele Bottom-Up-Initiativen – vor allem auf Ebene der Gemeinden – brauchen, um Gesundheit zu fördern, aber auch, um die Versorgung, Betreuung und Pflege in den nächsten Jahrzehnten zu sichern. Gesundheit ist eine gesamtgesellschaftliche Anstrengung und keine rein medizinische. In den letzten Jahrzehnten wurde viel zu viel versäumt."

Das müssen Sie erklären …

"Beispiel Pflege. Österreich hat erst seit 2018 ein Gesundheitsberuferegister und damit eine halbwegs valide Grundlage für eine professionelle Personalplanung. Andere EU-Länder haben so ein Register seit über 100 Jahren. Die Akademisierung der Pflege hat in Österreich gerade erst begonnen. In den meisten EU-Ländern ist diese seit Jahren abgeschlossen. In Österreich arbeiten nicht einmal zehn Prozent der diplomierten Pflegepersonen außerhalb von Einrichtungen in der wohnortnahen aufsuchenden Versorgung. In anderen EU-Ländern sind es fast ein Drittel. Angesichts der Tatsache, dass das 21. Jahrhundert das Jahrhundert der Pflege ist, sind diese Versäumnisse gravierend.

Oder nehmen wir den neuen Slogan „Digital vor ambulant und stationär“. Schon die Einführung der eCard im Jahr 2005 wäre ein guter Zeitpunkt für die „digitale Transformation“ gewesen. Ein Impfregister, ein Gesundheitsberuferegister, die Kodierung im extramuralen Bereich, die interessanterweise schon 1996 in der 15a-Vereinbarung stand, oder ELGA nach skandinavischem Modell, – das könnte es schon seit 20 Jahren geben. Mit der Einführung der eCard hätte auch die „Inanspruchnahme-Kultur“ neu geregelt werden müssen, die eine Art Gatekeeping oder Vertrauensarzt-Modell einführt. Dann wäre es schon viel früher zu einem Ausbau der extramuralen Versorgung gekommen."

Ich stellen meine Eingangsfrage noch einmal: Wie schneidet die „größte Gesundheitsreform der letzten Jahrzehnte“ in Ihren Augen ab?

"2005 und 2013 gab es die letzten größeren Reformen. Große Strukturveränderungen brachten beide nicht. Die wesentlichen Probleme blieben bis heute bestehen. Die aktuelle Reform hat daran wenig geändert. Bei den übriggebliebenen Maßnahmen für 2024 stellt sich die Frage, wie viele wirklich kommen und wie nachhaltig sie sind. In den nächsten Jahren wird der Versorgungs-, Betreuungs- und Pflegebedarf deutlich steigen. Im nächsten Jahr sind Nationalratswahlen. Dann kommt sowieso alles anders, als wir heute denken."

Quelle: ÖKZ, 64. JG, 12/2023, Springer-Verlag.

Dr. Martin Sprenger (60) 

ist seit 20 Jahren Gesundheitswissenschaftler und Leiter des Universitätslehrgangs Public Health an der MedUni Graz sowie Vortragender an zahlreichen Fachhochschulen und Universitäten. Öffentlich bekannt wurde er im Frühjahr 2020 durch seinen Rückzug aus der „Coronavirus-Taskforce“ des Gesundheitsministeriums. In der Schweiz geboren und in Tirol aufgewachsen war er zehn Jahre lang Bautechniker, bis er an der MedUni Graz promovierte. Dann praktizierte er 15 Jahre lang als Arzt und Notarzt, bis er den universitären Berufsweg wählte.

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