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Virtuelle Räume

30. September 2022 | Alexandra Keller
Mädchen hilft beeinträchtigtem jungen Rollstuhlfahrer beim Erlernen des Tennisspielens mittels VR-Brille.
Mädchen hilft beeinträchtigtem jungen Rollstuhlfahrer beim Erlernen des Tennisspielens mittels VR-Brille.

Die Methoden von Virtual Reality und Künstlicher Intelligenz eröffnen ungeahnte Anwendungsgebiete in Rehabilitation und Diagnostik. Ein deutsches Start-up und ein FH-Institut in St. Pölten erzählen von einer neuen Welt der Medizintechnik.

Die Geschichte von „living brain“ hat Drehbuchcharakter: Am Beginn stehen ein persönliches Schicksal und eine Freundschaft. Es folgen der gemeinsame Wunsch, die Rehabilitation in der Neurologie mit Virtual Reality-Technologie zu verändern. Dann kommt der klinische Durchbruch und im großen Finale folgen die Zertifizierung und schließlich ein siebenstelliger Kapitalzuschuss. Letzterer wird zum Cliffhanger für die Fortsetzung, weil erst im Juli des Jahres passiert. Die Geschichte startet 2015/2016 mit dem Eintrag: „Julian wird am Hirn operiert. Barbara und Julian sitzen nebeneinander in der Vorlesung – die Idee für Living Brain wird geboren.“

 

Virtuelle Geschichten

Das im deutschen Heidelberg beheimatete Biotechnologie-Start­up Living Brain entwickelt Software für die neurologische Rehabilitation. Es setzt dabei auf die Technologie von Virtual Reality und Gamification. Die Bewältigung des Alltags ist für Patienten mit neurologischen Erkrankungen eine immense Herausforderung. Sie leiden häufig an Folgen eines Schlaganfalles, eines Schädel-Hirn-Traumas oder eines Hirntumors.

Bei derartigen Indikationen ist Neuro-Rehabilitation für die Rückkehr in die Alltäglichkeit ein entscheidender Faktor. Die analoge Welt nützt dabei Übungen mit Stift, Papier oder Computern. Diese Werkzeuge werden beim ersten Living Brain-Produkt durch eine VR-Brille ersetzt, die mit einer speziellen Software „gefüttert“ wird. Sie hilft, alltägliche Szenarien spielerisch zu trainieren – in einem dreidimensionalen digitalen Raum. Die Trainingssoftware „teora mind“ ist europaweit das erste Rehabilitationsprodukt seiner Art, das nach der Branchen-Richtlinie MDR im Jahr 2021 zertifiziert wurde.

Als Hardware dient eine VR-Brille, die liegend, sitzend, stehend oder in Bewegung genutzt werden kann, um mithilfe der Software im virtuellen Raum Kaffee zu kochen, Erdbeeren zu pflücken oder Einkäufe in der Küche zu sortieren. Psychologische Lernstrategien, Therapiewissenschaften und VR werden kombiniert. 

Uns begeistert die Fähigkeit des Gehirns, sich selbst zu heilen, Fähigkeiten auszugleichen und zu kompensieren, wenn man das Gehirn entsprechend anregt und trainiert“, meint Barbara Stegmann gegenüber der ÖKZ. 

Barbara Stegmann,<br>CEO und Mitgründerin von Living Brain

Wir sind überzeugt, dass eine personalisierte, realistische, wissenschaftsbasierte Rehabilitation einen massiven Unterschied in der Behandlung von Betroffenen machen kann.

Barbara Stegmann,
CEO und Mitgründerin von Living Brain

Barbara Stegmann hat zusammen mit Julian Specht Living Brain gegründet. Rasch ist Till Ikemann in den Gründerzirkel aufgenommen worden, der Game-Developement studierte und sich um die virtuellen Umgebungen beziehungsweise Spielräume kümmert, in denen sich die Patienten bewegen – und ihr Gehirn trainieren.

 

KI-Reha aus Niederösterreich

„Die VR hat den großen Vorteil, dass therapeutische Übungen mit spielerischem Charakter verbunden werden“, nennt Brian Horsak Schlüsselfaktoren erfolgreicher Rehabilitation. „Das macht mehr Spaß und motiviert, die Trainings tatsächlich zu absolvieren.“ Brian Horsak ist Leiter des Center for Digital Health and Social Innovation der FH St. Pölten. Er forscht an KI-gestützten Anwendungen im Bereich der Physiotherapie. Virtual Reality ist eines der Werkzeuge, die Patienten bei ihren Trainingsübungen zu Hause zu unterstützen. Horsak sucht kostengünstige und leicht anwendbare Tools, die die Arbeit in Physiotherapie-Praxen effizienter machen. Der Sportwissenschaftler war während des Studiums in Wien fasziniert vom „Motion Capture System“, mit dem die Bewegungen einer Person drei­dimensional erfasst und quantifiziert werden können. „Es ist die­selbe Technologie, die beim Film verwendet wird, um die animierten Figuren durch Schauspieler zum Leben zu erwecken“, erklärt Horsak. Die Anwendung eröffnete in der Physiotherapie neue Wege, wo Gang- und Bewegungsanalysen Grundlagen für wichtige Therapieschritte sind.

Als die FH St. Pölten 2009 eine wissenschaftliche Planstelle am Studiengang Physiotherapie bekam, nutzte Brian Horsak die Chance, mit allen Vorteilen eines institutionalisierten Backgrounds in die Forschung einzutauchen. Aus den anfangs kleinen Projekten wurden immer größere. Horsak: „Ich arbeite jetzt in meiner Forschung ganz intensiv an den Themen Virtual Reality und maschinelles Lernen.“ Dabei verknüpft er die beiden Technologien mit der klinischen Ganganalyse und Rehabilitation. „Ich habe mir oft gedacht, dass man diese Chancen an einer Universität sehr selten hat. Auf unserer FH haben wir das.“ Seit knapp einem Jahr leitet er die Stiftungsprofessur „Angewandte Biomechanik in der Rehabilitationsforschung“, wo er als Schnittstelle zwischen den Professionen fungiert, die an der Nutzung digitaler Technologien in der Rehabilitation forschen. „Wenn man versucht, Gesundheitsanwendungen aus der Domäne wie dem maschinellen Lernen zu entwickeln, geht das schief. Es gilt, die Programme entlang der Bedürfnisse der betroffenen Personen wachsen zu lassen“, macht Horsak auf einen essenziellen Knackpunkt erfolgreicher KI-Anwendungen aufmerksam.

Living Brain wird von zwei Psychologen und einem professionellen Computerspiel-Entwickler geleitet. Eine erfolgreiche Mischung, wie es scheint. Zu Horsaks engem Kernteam von fünf Mitarbeitern zählen im erweiterten Team zudem Physiotherapeuten, Ärzte und Experten aus den Fachgebieten Virtual Reality, maschinelles Lernen und Künstliche Intelligenz. Dabei seien die „Herausforderungen in der Kommunikation nicht zu unterschätzen“, warnt Horsak. „Man glaubt vom Gleichen zu sprechen, versteht sich aber trotzdem nicht, weil die unterschiedlichen Fächer unterschiedliche Denkweisen haben. Wir haben da in den letzten Jahren viel gelernt.“

Die neuen Technologien werden in so gut wie allen medizinischen Bereichen genutzt. In der Radiologie wird Künstliche Intelligenz (KI) oder maschinelles Lernen eingesetzt, um die Mediziner bei der Befundung von Bildern zu unterstützen. Tiefe künstliche, neuronale Netze werden verwendet, um bei Gehirnscans eine Alzheimer-Erkrankung früh zu erkennen – sechs Jahre bevor die schwierige Diagnose aufgrund erster Symptome gestellt werden kann. Vor knapp einem Jahr berichtete die Medizinische Universität Wien über die Entwicklung von Algorithmen, die bei der Früherkennung von Netzhauterkrankungen helfen. Und futuristisch mutet auch die von österreichischen Medizinern entwickelte App an, mit der Hautkrebs früh diagnostiziert werden kann. Per Handy werden dabei die Verdacht erregenden Hautpartien fotografiert, das Risiko wird dann in den Ampelfarben Rot, Grün und Gelb angezeigt. Die App-Entwicklungen für Gesundheitsanwendungen sprudeln.

 

Datenrohstoff

Die neuen Technologien mit den verwirrenden Namen Artificial Intelligence (AI), Augmented Reality (AR), Virtual Reality (VR) und Machine Learning etc. haben einen gemeinsamen Ausgangspunkt: Sie nutzen die medizinischen Datenberge, die sich über viele digitale Jahre angesammelt haben, aber bislang ungenutzt auf Servern lagern. 

So verfügt das orthopädische Spital Speising über Ganganalyse-Daten der letzten 20 Jahre. In diesen Datenmengen verbirgt sich viel Information, die erst mit den Methoden der Künstlichen Intelligenz nutzbar wurden. Das Team um Brian Horsak kooperiert mittlerweile eng mit den Kollegen aus Wien. Denn von jedem der historischen Datensätze ist bekannt, welche Problemstellungen die Patienten haben. Mithilfe der anonymisierten Datensätze wird ein selbstlernender Algorithmus aufgebaut, um Muster zu erkennen. Wenn ein neuer Patient zur Diagnose ins Labor kommt, verweist der Algorithmus auf Merkmale, die in früheren Fällen auf dieses oder jenes Krankheitsbild hingewiesen haben.

Dabei gilt es noch, das sogenannte Blackbox-Problem zu lösen: Viele Mediziner misstrauen den für sie häufig nicht nachvollziehbaren Vorschlägen des Algorithmus. Derzeit arbeitet Horsaks Arbeitsgruppe an Abläufen, um die Entscheidungsgrundlagen transparent zu machen. Es soll sichtbar werden, welche Informationen der Algorithmus herangezogen hat, um die Diagnosevorschläge abzuleiten. 

FH-Prof. Priv.-Doz. Dr.</span><span> </span><span>Brian</span><span> </span><span>Horsak,<br>Leiter des Center for Digital Health and Social Innovation,<br>Fachhochschule St. Pölten
FH-Prof. Priv.-Doz. Dr. Brian Horsak
Das macht die Abläufe für den Arzt ver­ständ­licher.

FH-Prof. Priv.-Doz. Dr. Brian Horsak,
Leiter des Center for Digital Health and Social Innovation,
Fachhochschule St. Pölten

Und er sieht eine große Wahrscheinlichkeit, dass „der Algorithmus in den Datenmengen Dinge entdeckt, die in der Vergangenheit nicht aufgefallen sind.“ Auf diese Weise können mithilfe von KI-Methoden bislang verborgene medizinische Schätze gehoben werden. Brian Horsak erwartet aufgrund der neuen Technologien große Fortschritte im diagnostischen und rehabilitatorischen Gesundheitsbereich. Er verweist aber auf die Grenzen: KI-Anwendungen werden das Urteilsvermögen des Menschen nie ersetzen. „Am Ende entscheidet immer der Mensch.“ 

Quelle: ÖKZ 8-9/2022, 63. Jahrgang, Springer-Verlag.