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Die Benach­teiligung von Patient und Arzt durch das Kranken­anstalten-Arbeits­zeitgesetz

5. August 2022 | Walter Kapral
Arzt hilft älterer Patientin beim Aufstehen aus dem Krankenhausbett.
Arzt hilft älterer Patientin beim Aufstehen aus dem Krankenhausbett.

Gedanken zum Wohl von Patienten und Ärzten. An alle, denen das Wohl von Patienten und Ärzten wichtig ist oder die dafür Verantwortung tragen.

Bevor ich auf Mängel des KA-AZG eingehe, möchte ich doch hervorheben, dass dieses Gesetz der schamlosen Ausnutzung der Arbeitskraft der Spitalsärzte, wie sie vor allem in den 50er- und 60er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts üblich war, ein Ende gesetzt hat.

Vorbemerkung der Redaktion:

Vorliegender Beitrag liegt hier in gekürzter Fassung zur leichteren Erfassbarkeit der Kernaussagen und besseren Lesbarkeit vor. Die vom Autor im Original zitierten Passagen des Krankenanstalten-Arbeitszeitgesetzes (KA-AZG, Fassung 2021) sind Geltungsbereich, Arbeitszeit, Verlängerte Dienste, Überstundenarbeit, Ruhepausen, Tägliche Ruhezeit (§§ 1-6 KA-AZG).

Ich habe selbst beobachtet und persönlich erfahren, dass Wochenenddienste von Freitagmittag bis Montagmittag gedauert haben, gefolgt vom Dienstrhythmus „ein halber Tag frei, eineinhalb Tage Dienst“. Ich weiß, dass manche Oberärzte während der Urlaubszeit vier Wochen lang ununterbrochen Dienst gemacht haben. Warum wir das gemacht haben, ist heute unverständlich. Aber wir hatten damals keine andere Möglichkeit, den geliebten Beruf im Spital auszuüben.

Sosehr die ärztliche Arbeitszeit damals im Argen gelegen ist, hatte sie dem Arzt auch wesentliche Vorteile geboten:

  • Nur wenn die Dynamik des Krankheitsverlaufes erfasst wird, kann eine richtige Diagnose gestellt werden.
  • Den Krankheitsverlauf unmittelbar und ununterbrochen beobachten konnten wir damals wirklich. Und wir konnten damals auch ohne Laboratorium und Röntgen, geschweige denn ohne die heute zu Verfügung stehenden Hilfsmittel, in der Regel richtige Diagnosen stellen und danach handeln.
  • Wir haben bewusst und unbewusst eine große Menge von Hintergrundinformationen gesammelt, die eine nicht genug hochzuschätzende Hilfe bei der Diagnosestellung waren.

Hintergrundinformationen können bei der heutigen Diensteinteilung auch durch die beste Information bei der Dienstübergabe nicht gewonnen werden. Es ist so ähnlich wie der Unterschied zwischen einem guten Reisebericht und dem persönlichen Reiseerlebnis. Heutzutage wird mehr auf Hilfsmittel gesetzt, als auf das, was man mit fünf Sinnen und Beobachtung erfassen kann. Die Hilfsmittel sind heute keine Hilfsmittel mehr geblieben, sondern ihr Gebrauch ähnelt der Neigung, das Denken durch Computer zu ersetzen.

Ich erinnere mich, dass meine Oberarzt-Kollegen und ich auch an dienstfreien Sonn- oder Feiertagen ins Spital gekommen sind, um nach den von uns operierten Patienten zu sehen. Wenn man das heute tut, begeht man womöglich eine Gesetzesübertretung oder gerät unter Korruptionsverdacht.

Der Vorteil für den Patienten war, dass er über einen längeren Zeitraum von demselben Arzt behandelt wurde, den er kannte und zu dem er Vertrauen fassen konnte.

 

Schwierigkeiten für den Arzt

Die Ruhezeitbestimmung von 11 Stunden nach Dienstschluss führt zusammen mit der Höchstarbeitszeit von 13 Stunden pro Tag, so wichtig sie ist, doch zu Schwierigkeiten:

  1. Es ist zweimal pro 24 Stunden eine Dienstübergabe-Besprechung notwendig.
  2. Das bedeutet jeweils einen regelmäßigen beträchtlichen Arbeitszeit-Aufwand am Beginn und am Ende jeder Dienstzeit für die gesamte ihren Dienst beendende und für die ihren Dienst beginnende Dienstmannschaft. Auf diesen Zeitverlust ist offensichtlich bei Abfassung des Gesetzes mit der Bestimmung von 13 Stunden Dienstzeit pro 24 Stunden Rücksicht genommen worden.
  3. Ein Informationsverlust ist auch bei größter Genauigkeit nicht zu vermeiden.
  4. Eine Weitergabe von Hintergrundinformationen ist praktisch unmöglich. Damit entfällt eine wichtige Entscheidungshilfe.
  5. Eine länger dauernde Operation könnte beispielsweise bei strenger Einhaltung des Gesetzes erst nach Dienstübergabe beginnen oder es muss die Operation von einem neuen Team weitergeführt werden. Das bedeutet Diskontinuität bei einer sehr wichtigen Behandlung.
  6. Dem einzelnen Arzt ist eine kontinuierliche Beobachtung und Betreuung seines Patienten nicht möglich.
  7. Damit ist auch die Gewinnung von selbständigen Hintergrundinformationen für den einzelnen Arzt beträchtlich eingeschränkt.
  8. Sich um seinen Patienten außerhalb der Dienstzeit zu kümmern, wäre eigentlich eine Überschreitung der Ruhezeit-Regelung. Und wenn diese in Kauf genommen würde, könnte leicht der Verdacht auf Korruption entstehen.
  9. Die Möglichkeit der Entwicklung eines persönlichen Vertrauensverhältnisses zwischen Arzt und Patient ist beträchtlich behindert.
  10. Auch die Möglichkeit für den Arzt, über seinen Patienten durch persönliche Beobachtung genau Bescheid zu wissen, ist behindert.
  11. Für die Betreuung des einzelnen Patienten ist nicht ein Arzt zuständig, sondern das jeweilige, sich abwechselnde Team.
  12. Vor allem dem lernenden Arzt erwachsen Schwierigkeiten bei der Erlernung, den Krankheitsverlauf zu erfassen, und er kann auch nicht die notwendigen Maßnahmen bei Krankheitsverschlechterung oder Komplikation unmittelbar und direkt verfolgen.

 

Schwierigkeiten für den Patienten

Um diese Schwierigkeiten entsprechend zu würdigen, ist es gut, die Erwartungen des Patienten zu bedenken. Patienten erwarten sich vom Arzt: Zuwendung, Sorgfalt, Wissen und Können.

  1. Zuwendung und Sorgfalt kann der Patient selbst am besten beurteilen. Durch den ständigen Wechsel der Teams ist diese Beurteilung fast unmöglich.
  2. Auch die Beurteilung von Wissen und Können, die der Patient nur mittelbar entsprechend dem Maß an Zuwendung und Sorgfalt und dem Behandlungserfolg beurteilen kann, ist durch den Team-Wechsel sehr beeinträchtigt.
  3. Wissen und Können der Teams ist naturgemäß unterschiedlich.
  4. Die Information über seine Erkrankung, deren Verlauf und die getroffenen Maßnahmen sind in der Regel denkbar schlecht und unvollständig.
  5. Der Aufbau eines vertrauensvollen Verhältnisses zu seinem Arzt ist unmöglich, weil es diesen Arzt gar nicht gibt. Und zum Team kann kein persönliches Verhältnis aufgebaut werden.
  6. Die in der Regel hohe Qualität der Behandlung wird ihm kaum bewusst.
  7. Das führt dazu, dass sich der Patient hilflos und ausgeliefert fühlt.
  8. Auch bei der Nachbehandlung ist Anonymität und Informationsmangel über für den Patienten wichtige Details das Problem.
  9. Er ist frustriert und unglücklich.
  10. Auch in Arztbriefen sind oft dem Patienten wichtig erscheinende Details nicht entsprechend vermerkt. Und den Arztbrief studiert ein Patient sehr genau.

 

Zusammenfassung

Das neue KA-AZG stellt hohe Anforderungen an die Verantwortlichen für die Organisation der Abteilungen. Alle Wünsche werden sicher nicht berücksichtigt werden können.

  • Es ist auch unrealistisch, eine Änderung der wesentlichen Punkte des KA-AZG durchführen zu wollen.
  • Die Änderung müsste wohl darin bestehen, die Ausdehnung der kontinuierlichen Arbeitszeit auf mehrere Tage (Block-Arbeitszeit) zu erlauben.
  • Der Zweck meines Artikels ist es aber, das Bewusstsein für die Nachteile, die aus dem Gesetz vor allem den Patienten erwachsen, zu stärken und in kleinen Schritten eine Verbesserung der Patientensituation herbeizuführen.
  • Allen, die meinen Artikel mit Interesse lesen und in Vielem oder zumindest Manchem zustimmen, möchte ich sehr danken. Allen, die meinen Artikel ablehnen, zolle ich Respekt.
     

Quelle: QUALITAS, 02/2022, Springer-Verlag.

Persönliche Anmerkung des Autors:

Ich habe als Arzt und Chirurg 42 Jahre lang, davon 27 Jahre als Primararzt einer chirurgischen Abteilung, gearbeitet. Ich habe versucht, meine Patienten in ihrer schweren Zeit auf Augenhöhe zu begleiten und zu umsorgen. Ich möchte meine dabei gewonnenen Erfahrungen und Einsichten und eventuelle Verbesserungsvorschläge mitteilen. Ich halte diese Mitteilung weder für einzigartig noch für weltbewegend. Trotzdem möchte ich diese Erfahrungen und Einsichten nicht stillschweigend mitnehmen in eine Zeit, die mit 92 Jahren absehbar ist und in der ich nicht mehr am Leben sein werde.