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Zoomen statt Sesselkreis

29. April 2021 | Erika Pichler
Sesselkreis in der Psychotherapie.
Sesselkreis in der Psychotherapie.

Aufgrund der COVID-19-Pandemie wurde für viele Selbsthilfegruppen Online-Kommunikation zur einzigen Möglichkeit, sich zu begegnen. Virtuelle Treffen stoßen zwar nicht überall auf Gegenliebe, bieten aber die Chance, dem etwas verstaubten Image der Selbsthilfe-Kultur entgegenzuwirken und neue Zielgruppen anzusprechen. 

Selbsthilfe ist kein Selbstläufer. Die ursprüngliche Motivation von Patienten oder Angehörigen, sich zusammenzutun, um eine Art Gegenpol zu den offiziellen Strukturen des Gesundheitswesens zu bilden, aber auch, um sich gegenseitig das Herz auszuschütten oder vielleicht Freundschaften mit Gleichgesinnten zu schließen, hat sich verändert. Im Sesselkreis oder im Nebenzimmer eines Gasthauses ihre Probleme mit anderen zu besprechen, wie es traditionell mit Selbsthilfegruppen assoziiert wird, ist nicht mehr jedermanns Sache. 

 

Größere Reichweite versus Telefon-Gewohnheit 

Ein automatischer Modernisierungsschub ergibt sich derzeit durch die Notwendigkeit, angesichts der COVID-19-Kontakteinschränkungen auf virtuelle Selbsthilfe-Treffen überzugehen. Dass dadurch auch die jüngere Zielgruppe besser für die Anliegen der Selbsthilfe erreicht werden kann, wäre ein logischer Gedanke, ist aber quantitativ noch nicht verifiziert. 

„Das Alter der Teilnehmer wird bei unseren Veranstaltungen nicht abgefragt“, sagt Karin Krainz-Kabas, Geschäftsführerin der Multiple Sklerose Gesellschaft Wien, die in letzter Zeit vermehrt Webinare und Online-Vorträge anbietet. 

„Was aber auffällt, ist natürlich ein Unterschied bei der Reichweite. Haben wir in Präsenz Teilnehmer aus Wien und Wien-Umgebung, schalten sich bei Online-Veranstaltungen auch Menschen aus Deutschland, Polen und Tschechien zu.“ 

Für Selbsthilfe-Organisationen wie die MS-Gesellschaft waren virtuelle Auftritte auf dem eigenen Youtube-Kanal auch vor der Pandemie schon lange üblich, aber „die COVID-19-Krise war definitiv Treiber einer schon begonnenen Entwicklung“, so Krainz-Kabas. Die Online-Formate der MS-Gesellschaft seien im letzten Jahr definitiv weiterentwickelt worden, da man sie anfangs unter einem gewissen Zeitdruck organisiert habe, um die ursprünglich kommunizierten Veranstaltungstermine aufrechtzuerhalten. Auch habe man sich das nötige Wissen zu den technischen Voraussetzungen und den optimalen Rahmenbedingungen für die Teilnehmer erst aneignen müssen. Diesen Prozess betrachte sie als noch immer im Gange. 

„Die Videoberatungen werden derzeit von unseren Klientinnen und Klienten nur sehr zögerlich in Anspruch genommen. Die Beratung via Telefon hat als bekanntes Medium den größten Zulauf bei uns.“ 

 

Verlust von Mitgliedern... 

Auch in kleineren Gruppen, für die mangels Infrastruktur die Organisation von Online-Formaten schwieriger ist, werden Präsenztreffen vielfach schmerzlich vermisst. „Wir hören, dass manche Gruppen mit der Umstellung auf Online-Treffen Mitglieder – vorübergehend – verlieren“, sagt Gudrun Braunegger-Kallinger, Leiterin der Österreichischen Kompetenz- und Servicestelle für Selbsthilfe (ÖKUSS). Dies könne verschiedene Gründe haben. „Eine Erhebung der Selbsthilfe Steiermark während der Ausgangsbeschränkungen im Frühling 2020 sagt zum Beispiel aus, dass für viele Mitglieder Online-Treffen die Präsenztreffen mit dem direkten Face-to-face-Austausch nicht ersetzen können und diese den Menschen fehlen.“ [1] 

Es könne aber auch am Vorhandensein der nötigen Ausstattung oder an einer beengten Wohnsituation liegen, die eine „geschützte“ Teilnahme an einer Online-Selbsthilfegruppe erschwerten. „Auf der anderen Seite bietet sich aber jetzt für jene Menschen eine gute Gelegenheit, die vielleicht bisher offline nicht die Möglichkeit hatten, den Schritt in eine Gruppe zu machen, zum Beispiel, weil die Entfernung zur Gruppe zu groß war“, so Braunegger-Kallinger.

 

...versus Zulauf neuer Teilnehmer 

Anna Hochgerner, Selbsthilfebeauftragte des Ordensklinikums Linz, bestätigt diese Sicht. „Man erreicht Leute, die vielleicht sonst nie zu einem Gruppentreffen gegangen wären. Insofern kann Online-Selbsthilfe ein Booster für Selbsthilfe allgemein sein.“ 

Hochgerner hat etliche Online-Vernetzungsmöglichkeiten für Patienten des Ordensklinikums und deren Angehörige entwickelt. Ihre Erfahrungen damit sind weitgehend positiv. Zwar gebe es den Nachteil, dass technisch weniger versierte oder ausgestattete Menschen sich ausgeschlossen fühlten. 

„Wer aber die technische Infrastruktur und Internet hat, der findet zu uns, wenn wir ihn ein bisschen an die Hand nehmen. Wir hatten jedenfalls viel mehr Teilnehmer als bei normalen Treffen.“ 

Wichtig sei eine gute Moderation. „Und leichter und besser geht es, wenn sich einige Teilnehmer schon vorher gekannt haben“, sagt Hochgerner. 

„Sehr schön zu beobachten ist inzwischen, dass manche Teilnehmer auch im Online-Meeting bleiben, nachdem der Experte schon gegangen ist, um sich noch auszutauschen.“ 

Sie habe sich alles selbst erarbeitet und seit den ersten Gehversuchen mit Online-Selbsthilfe viel dazu gelernt, sagt die Selbsthilfekoordinatorin, die vor ihrer Tätigkeit am Ordensklinikum als Journalistin und Pressesprecherin arbeitete. 

„Das war anfangs ein steiniger Weg. Nachdem wir aber alle Fortbildungen auf Online umstellen mussten, bekamen wir volle Unterstützung seitens der Krankenhaus-IT.“ 

Sehr zu begrüßen sind aus ihrer Sicht die neuen Weiterbildungen, die ÖKUSS für bundesweite Selbsthilfe-Organisationen (BSHO) und ehrenamtlich tätige Selbsthilfegruppen-Leiter anbietet. Um deren Bedarf in der Zeit der Pandemie Rechnung zu tragen, habe man seit Herbst 2020 das Weiterbildungsangebot komplett umgestellt, sagt ÖKUSS-Leiterin Braunegger-Kallinger. 

„Wir bieten ausschließlich Online-Formate an, was es Personen aus ganz Österreich ermöglicht, teilzunehmen und zu üben. Zum Beispiel die dreiteilige Reihe ‚Pimp your Webinar‘, wo es um sehr konkrete Tipps und Tricks für Online-Meetings und Gruppentreffen geht – vom Stimmtraining über Aktivierungsübungen bis zu Umfragemöglichkeiten oder der Online-Pausengestaltung. Wir richten uns hier auch nach dem, was die BSHO nachfragen.“ 

Die Teilnahme erlebe sie als sehr aktiv, so Braunegger-Kallinger. Darüber hinaus böten auch die Selbsthilfe-Unterstützungsstellen in den Bundesländern für die lokalen Selbsthilfegruppen teilweise Online-Weiterbildung an. Auch Anna Hochgerner schult am Ordensklinikum Leiter von Selbsthilfegruppen im Umgang mit diversen Tools. Darüber hinaus werden potenzielle Teilnehmer schriftlich vorinformiert und mit einer einfachen Anleitung zum Einstieg in die Online-Kommunikationsformen ermuntert. Der älteste Teilnehmer bisher sei immerhin 87 Jahre alt gewesen.

 

Vorteil für Krebspatienten 

Speziell auch die Rückmeldungen von onkologischen Patienten, denen vom Ordensklinikum seit Juni letzten Jahres virtuelle Treffen und Online-Vorträge angeboten werden, seien sehr positiv, da diese hochvulnerable Gruppe den Vorteil schätze, vor Infektionsgefahr geschützt zu sein. Außerdem nützten Angehörige von Krebs-Patienten gern die Möglichkeit, auf diese Weise Informationen gemeinsam oder anstelle des Betroffenen eine Gruppe zu besuchen. „Wir merken dann, dass sie zusammen vor dem Computer sitzen“, so Hochgerner. Das Krankenhaus unterstützt seit Jahren etliche Selbsthilfegruppen mit Referenten durch die Bewerbung mittels Flyer, Terminposter sowie elektronischen Selbsthilfe-Newsletter, indem es ihnen für ihre Treffen Räumlichkeiten des Hauses sowie Getränke kostenlos zur Verfügung stellt. Neben elf Gruppen für diverse Erkrankungen machen auch sieben onkologische Gruppen von diesen Möglichkeiten Gebrauch. 

„Oft ist es in den Onko-Gruppen mehr eine Peer-to-Peer-Beratung für eine bestimmte Phase. Man darf hier den Erfolg nicht nach Quantität messen. Wenn einzelnen Betroffenen und ihren Angehörigen geholfen wird, ist das sehr viel Wert.“ 

Die strikte Entscheidung des Unternehmens im Sommer 2020, wegen der Infektionsgefahr in der zweiten Hälfte des Jahres ausnahmslos auf Präsenzveranstaltungen zu verzichten, habe sie zunächst mit Bedauern aufgenommen, sagt Hochgerner. 

Letztlich sei diese Klarheit aber hilfreich gewesen, um langfristig alternative Selbsthilfe-Online-Angebot zu etablieren. Bei der Programmgestaltung orientiere sie sich an den Bedürfnissen der Patienten. Vor allem die jüngere Ärztegeneration erlebe sie für ihre Arbeit als sehr aufgeschlossen. „Viele unsere Primare und Oberärzte sehen den Wert von gelungener Selbsthilfe darin, Erfahrungswissen mit Fachwissen zu kombinieren und dieses mit anderen Menschen zu teilen, und sind froh über meine Unterstützung. Ich bin Vermittlerin zwischen den medizinischen Abteilungen und den Selbsthilfegruppen und kümmere mich um die organisatorischen Details.“ 

Hochgerner ist prinzipiell im sogenannten „Zuweiserbeziehungsmanagement“ des Ordensklinikums beschäftigt, das für den Kontakt zu extramuralem Fachpersonal zuständig ist und medizinische Kongresse und Fortbildungen – unter anderem die Krebsakademie – organisiert. Die Zuordnung der Selbsthilfe zu diesem Servicebereich des Krankenhauses empfindet sie als durchaus passend. „Wir sehen unsere Gruppenleiter wie Fachpersonal light und die Patientengruppen sind eine wichtige Erweiterung des professionellen Gesundheitswesens.“ Das Krankenhaus profitiere auch vom Austausch mit den Gruppen, der durch die Online-Formate noch breiter werde. „Durch sie werden Themen an uns herangetragen, über die dann auch in den Qualitätszirkeln gesprochen wird. Es hat einfach größeres Gewicht, wenn eine Gruppe ein Anliegen vorbringt und ich es als Selbsthilfe-Kontaktperson weiterleite, als wenn das von einer Einzelperson kommt.“ Als große Chance sieht Hochgerner Online-Selbsthilfe bei seltenen Erkrankungen. Die zweifache Mutter engagiert sich privat seit fünf Jahren ehrenamtlich in einem österreichweiten Familiennetzwerk für eine seltene Erkrankung. Auch diese Gruppe sei im letzten Jahr auf virtuelle Treffen übergegangen, erzählt Hochgerner. „Beim ersten Treffen im Dezember 2020 hatten wir 20 Teilnehmer, beim zweiten Anfang Februar 2021 schon 70 – davon zwölf Ärzte – aus ganz Österreich. Das wäre in Präsenz schwer möglich gewesen.“ 

 

Zukunft Online? 

Ob die Selbsthilfe auch nach der Zeit der Pandemie vermehrt auf Online-Modelle setzen wird und ein Ausbau dieser Möglichkeiten wünschenswert wäre, ist derzeit noch nicht eindeutig zu beantworten. „Rein organisatorisch gesehen, würde ein Ausbau der Onlineveranstaltungen möglicherweise entlasten“, sagt MS-Gesellschafts-Geschäftsführerin Karin Krainz-Kabas. „Unsere Aufgabe der Vernetzung von Menschen mit MS und der Kontaktpflege würde aber bei ausschließlicher Onlinepräsenz aus meiner Sicht zu kurz kommen.“ Man werde den Teilnehmern daher in Zukunft wohl ein „sowohl – als auch“ bieten. Zweifellos sei Online-Kommunikation nicht für jeden und jede ideal, gesteht auch Anna Hochgerner ein. „Die Sehnsucht nach persönlichen Treffen nach der Pandemie ist schon sehr groß.“ Generell fasse sie die Entwicklung von Online-Formaten als „work in progress“ auf. „Selbsthilfe braucht immer Zeit, um sich als Erfolgsmodell zu etablieren. COVID-19 verpasste der Selbsthilfe aber auf jeden Fall einen kräftigen Entwicklungsschub.“ 
 

Literatur:

[1] Einblick in die Erfahrungswelt steirischer Selbsthilfegruppen. Zugang: https://selbsthilfe-stmk.at/ einblick-in-die-erfahrungswelt-steirischer-selbsthilfegruppen/. Zugriff: 9.3.2021.

Quelle: ÖKZ 03-04/2021 (Jahrgang 62), Springer-Verlag

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